Nur gerade 2,5 Stunden nachdem wir Washington verlassen haben plumpst der Anker schon wieder ins trübe, braune Wasser des Potomac Rivers. Denn schräg oberhalb unseres Ankerplatzes liegt Mount Vernon und diesen Landsitz besuchen wir am Morgen des 21. September. Hier, an schönster Lage und mit einer traumhaften Aussicht über den breiten Fluss lebte der frühere Präsident George Washington. Und ebenfalls hier wurde er 1799 auch beerdigt. Jedes Jahr besuchen über eine Million Amerikaner diesen Ort um sich ein Bild zu machen wie der Gründungsvater ihrer Nation, der Soldat und Staatsmann als Privatperson gelebt hat. Sukzessive liess Mr. Washington das ursprünglich kleine Anwesen erweitern und Tabak und Weizen anbauen. Erzählt uns eine der zahlreichen engagierten und freundlichen Frauen bei der Führung durch das herrschaftliche Gut. Sie weiss Spannendes und Interessantes über die damaligen Zustände zu erzählen, zum Beispiel dass für gerade einmal fünf Familienmitglieder über 317 Sklaven schufteten!
Am Folgetag ist es dann mit dem windstillen und heissen Wetter vorbei, Hurrikan Fiona braust draussen auf dem Atlantik Richtung Kanada und bringt uns Regen und viel Wind. Wir haben beim Cedar Point Neck einen gut geschützten Ankerplatz gefunden und wettern dort das garstige Wetter ab. Tiefe Temperaturen begleiten uns auch am 23. September auf dem knapp 30 Seemeilen langen Weg nach Leonardtown. In diesem kleinen und schmucken Ort geniessen wir wieder einmal einen Landgang. Besonders augenfällig ist die Dichte der Restaurants sowie die Musikbeschallung entlang der Strassen mittels Lautsprecher, die an den Strassenlaternen hängen. Zielstrebig findet mein Captain den Weg in ein unscheinbares Lokal, dessen Name «Brudergarten» sich doch etwas deutsch anhört. Richtig, in diesem veramerikanisierten Biergarten prangt über den Zapfhähnen das Leuchtschild «Gemütlichkeit» und auf der Karte werden «Pretzel» angepriesen. Nur leider wird uns auch hier das Bier in Plastikbechern serviert.
Der Anker fällt bei Solomons Island
Es bleibt weiterhin kühl, als wir im Mill Creek bei Solomons Island den Anker werfen. Wir sind froh über jeden Sonnenstrahl der tagsüber das Schiffsinnere etwas aufheizt. Und besonders warm wird’s uns ums Herz, als uns Mareike am 26. September besucht. Ihre Moana liegt etwas flussaufwärts gut geschützt am Pier von Freunden.
Bereits zwei Tage später segeln wir bei günstigem Wind und endlich wieder einmal bei herrlichem Sonnenschein knapp 40 Seemeilen nordwärts. Im Domingo Creek finden wir einen perfekten Ankerplatz mit gutem Landzugang nach St. Michaels. Dieser kleine, schmucke Ort gefällt uns auch beim zweiten Besuch, allerdings aus völlig verschiedenen Gründen. Während ich mich über die liebevollen Herbst-Dekorationen freue, gilt Captains Augenmerk der Lyon Distillery. Denn der dort angebotene Sailors-Rum soll ein absoluter Gaumenkitzler sein. Dass wir im Ort auch die leere Gasflasche füllen können, macht uns dann Beide glücklich. Während wir uns noch Gedanken machen, ob wir als nächstes nach Annapolis oder doch Baltimore segeln, ziehen auf der Wettervorhersage die Ausläufer von Hurrikan Ian heran. Diesem Orkan, der grosse Teile von Florida so entsetzlich verwüstet hat. Damit sind mit einem Schlag alle Überlegungen obsolet und wir einfach erleichtert, an einem so gut geschützten Ankerplatz zu liegen.
Hurrikan Ian nähert sich
Und tatsächlich, die kommenden vier Tage bläst der stramme Nordwind ununterbrochen und mit bis zu 40 Knoten, es regnet pausenlos und die Temperaturen gehen immer tiefer in den Keller, genau wie unsere Stimmung! Wir glauben schon fast nicht mehr an Sonnenschein, als der sich am 5. Oktober doch tatsächlich und noch etwas zaghaft durch die zähe Wolkendecke quält. Und anderntags können wir nach zehn Tagen an ein und demselben Ort endlich wieder weiter. Da wir Mitte Oktober am südlichen Ende der Chesapeake Bay sein wollen, um uns dort für einen weiteren langen Schlag um das Cape Hatteras bereit zu machen, ist es unterdessen zu spät für die nördlich gelegenen Ziele. An diesem Morgen dauerts und dauerts, bis wir den tief eingegrabenen Anker aus dem schlammigen Untergrund befreit haben und uns dann auf die knapp 40 Seemeilen lange Strecke zurück nach Solomons Island machen. Alles bei stahlblauem Himmel und strahlendem Sonnenschein.
Besuchstour
Mit dem Dinghi brausen wir anderntags von unserem Ankerplatz im Mill Creek den weit verzweigten Flusslauf hinauf und gehen Freundin Mareike besuchen. Ihre Moana liegt immer noch festgemacht am Steg, ganz idyllisch zuhinterst an einem Flussarm gelegen. Wir geniessen unser Wiedersehen bei herrlichem Sonnenschein und naschen im tiefen amerikanischen Hinterland echte Schweizer Nussstängeli, die sie extra für uns kredenzt. So macht das Leben auf dem Wasser Freude.
Anderntags heben wir bereits ganz früh den Anker, setzen die Segel und machen uns auf die etwas über 50 Seemeilen lange Fahrt Richtung Pitmans Cove. Und Vairea beweist auf dieser Strecke ihre Rennqualitäten! Der neue Geschwindigkeitsrekord lautet sagenhafte 17,5 Knoten!! Kurz vor der Einfahrt in den Indian River geht ein herrlicher Tag mit dem Bergen der Segel zu Ende. Ein weiteres Mal ankern wir direkt vor dem Anwesen unserer Freunde, die uns bereits erwarten. Nachdem wir mit Glenns Auto unsere Einkäufe im nahe gelegenen Kilmarnock erledigen durften, brausen wir kurz nach dem Mittag ans Ende des Indian Creek.
Dort wohnt das Deutsch-Amerikanische Paar Thorsten und Nicky, die uns zu Kaffee und Kuchen eingeladen haben. Gemütlich im Garten sitzend, erzählt uns Nicky vom verheerenden Tornado, der zwei Jahre zuvor praktisch aus dem Nichts über das Land brauste. Fast alle der zum Teil uralten Bäume knickten um wie Streichhölzer, aber wie durch ein Wunder blieb ihr Haus fast unbeschädigt. Uns wird ein weiteres Mal bewusst, was für eine unberechenbare Wetterküche diese Ostküste der USA doch ist. Bevor wir ein paar Stunden später unsere Rückfahrt zur Vairea antreten, plündert das sympathische Paar ihren liebevoll angelegten Garten und beschenkt uns mit viel vitaminreicher Kost.
Verfrühtes Thanksgiving
Am Abend sind wir zu einem verfrühten Thanksgiving im Haus von Suzy und Glenn eingeladen. Und die Freude ist riesig. Denn nebst Sohn Eric mit seiner Familie ist auch Tochter Elizabeth mit ihrem Mann Patrick aus Washington DC gekommen. Wir fühlen uns so wohl, willkommen und fast ein wenig zu Hause, dass mein Herz vor Freude und Dankbarkeit aufgeht wie ein riesengrosses Scheunentor. Der Umstand, dass aus einer zufälligen Begegnung eine derart andauernde Freundschaft entstehen und gedeihen kann, empfinde ich als eine ganz grosse Bereicherung.
Die Etappe nach Deltaville anderntags ist fast ein Katzensprung. Bereits nach etwas mehr als zwei Stunden plumpst der Anker vor der Marina und Werft ins Wasser. Wir begrüssen Monica und Dominique, die mit ihrer Prana Cat noch auf Land stehen. Und stossen mit Martina und Ulli von der deutschen Baradal am Abend in der Tap & Raw Bar an. Amüsieren uns köstlich über den Umstand was passieren kann, wenn sich Besteller und Kellnerin so richtig gründlich missverstehen. Mit dem Resultat, dass anstatt der georderten Bier in 12 und 16 oz 28 frische Austern geliefert werden.
Vor Anker in der Old Hampton Bay
Am 14. Oktober sind wir mit Phoebus am gewünschten Ausgangspunkt der Chesapeake Bay angekommen. Bereits zum fünften Mal ankern wir zwischen dem stark befahrenen Highway und Fort Monroe. Benützen die darauffolgenden Tage für Einkäufe im nahe gelegenen Food Lion, einem Besuch im Mango Mangeaux Restaurant oder laufen knapp 40 Minuten zu Fuss hoch nach Hampton Downtown. Zwei Tage nach unserer Ankunft laufen auch Monica und Dominque mit ihrem Katamaran ein. Bei einem Zvieri auf ihrem Boot orientieren wir uns gegenseitig über unsere Pläne. Wir nehmen am 18. Oktober die 210 Seemeilen lange Etappe rund Cape Hatteras unter unsere Rümpfe. Die Schweizer Freunde wollen hingegen noch etwas Zeit in Norfolk verbringen und werden die Etappe anschliessend über den ICW starten. Dann bis zum Wiedersehen in Beaufort rufen wir uns zum Abschied zu.
Wie immer sind wir vor einer längeren Etappe mit Vorbereitungen beschäftigt. Dani checkt neben dem Wetter alle Systeme an Bord, während ich mit vorkochen, verräumen und bereitlegen beschäftigt bin. Am Vorabend der Abfahrt und einem letzten Wettercheck sind wir und Vairea ready. Ein weiteres Mal beginnt die längere Reise Richtung Süden.
Hallo ihr Lieben
Wiederum ein toller und unterhaltsamer Reisebericht, herzlichen Dank.
Es ist schon eindrücklich wieviele verschiedene Menschen ihr in diesen Jahren kennen gelernt habt, und immer kommen noch neue dazu.
Ich freue mich dass es euch so geht und ihr gut umsorgt werdet.
Alles Liäbi
Graziella
Herzlichen Dank Graziella für Deine lieben Worte.
Es ist auch für uns spannend und schön, wie viele Menschen an Land und auf Booten wir entweder immer wieder sehen oder dann neu kennen lernen.
Ganz liebe Grüsse in den schönen Thurgau von Deinen Freunden