Hauptstadt – Haupttreffer

Washington DC sei in mancher Hinsicht anders wie die übrigen amerikanischen Grossstädte. Augenscheinlich sei zum Beispiel, dass in der Hauptstadt keine Wolkenkratzer stehen. Grund dafür sei ein Gesetz welches besage, dass kein Gebäude höher als das Capitol sein dürfe. Gerade habe ich im Reiseführer diesen Passus fertiggelesen als Daniel mir zuruft, dass das markante, schneeweisse Bauwerk voraus sichtbar sei.

Einfahrt nach Washington DC

Bevor ich aber Augen dafür habe, beschäftigt mich viel mehr die Höhe der Woodraw-Wilson-Memorial-Brücke, die wir passieren müssen. Immer wieder Momente für eine etwas erhöhte Herzfrequenz. Aber auch dieses Mal passen Brücken- und Vaireas Masthöhe perfekt zusammen. Unsere ungeteilte Aufmerksamkeit gilt dann ab sofort den unzähligen Fähren, Freizeit-, Ausflugs- und Fischerbooten. Diese rush hour auf dem Wasser ist typisch für die Amerikaner an einem Freitag. Dazu donnern Flugzeuge über unsere Köpfe, alle im Landeanflug auf den Ronald-Reagan-Flughafen und einer der unzähligen Helikopter jagt so knapp über Vaireas Mastspitze, dass wir beinahe den Piloten erkennen können.

Ungastlicher Empfang in Washington

Es ist kurz nach 13 Uhr als wir in Washington ankommen. Unsere reservierte Boje in Sichtdistanz, die Festmacher angeschlagen und der Bootshaken im Anschlag: es kann losgehen. Die Strömung verlangt von uns Beiden die volle Konzentration. Genau im Moment als ich die Boje mit dem Haken fassen will, ertönen vom nah gelegenen Ufer derart laute, unflätige Beschimpfungen und wüste Flüche, dass mir vor Schreck der Haken ins Wasser fällt. Wir haben nichts Unrechtes getan, einem der Freizeitangler scheint ganz einfach unser Erscheinen nicht zu passen.

The Wharf in Washington DC

Von vorne werden mir Obszönitäten zugerufen und von hinten versucht mich Daniel verbal zu beschwichtigen. Was für ein Glück, dass es in diesem ganzen Tohuwabohu dann doch noch irgendwie mit dem Festmachen klappt! So etwas haben wir in den vergangen acht Jahren nie erlebt und ich fühle mich derart unwohl, dass ich am liebsten gleich wieder verschwinden würde, sage ich kurz danach etwas aufgelöst zu Daniel. Das war doch einfach nur ein zugedröhnter, betrunkener oder unzufriedener Idiot, den es nicht zu beachten gilt, relativiert er den Vorfall.

Willkommen in Washington

The Wharf Marina

Dafür ist dann kurz danach der Empfang in der Marina umso herzlicher und Cierra, die Perle am Empfang macht mit ihrer liebenswürdigen Art allen vergangenen Ärger und Frust wieder wett und vergessen! Und was so übel begonnen hat, kann doch nur besser werden, sage ich mir unterdessen fast wieder ganz entspannt. Spannend ist es, das brandneue Quartier «The Wharf» zu dem nebst der Marina und dem Yachtclub auch eine grosse Anzahl an Hotels, Bars und diversester Restaurants gehören.

The Wharf District

Washington hat nebst vielen Vorteilen zwei ganz grosse Trümpfe. Zum einen ist sie wohl eine der fussgängerfreundlichsten Grossstädte und zum anderen sind fast alle der unzähligen, hochkarätigen Museen kostenfrei zu besichtigen. Zu verdanken ist dies dem englischen Wissenschaftler James Smithson der 1829 ohne Nachkommen verstarb und sein Vermögen den Vereinigten Staaten vermachte. Allerdings an die Bedingung geknüpft, dass das Geld «der Vermehrung und Verbreitung von Wissen» zukommt. Und so ist die Institution Smithsonian mit total 19 Museen, Galerien und dem Zoo heutzutage der grösste Museumskomplex der Welt. Bei Bedarf und Lust einfach eines der vielen Museen herauspicken und besuchen, diese Vorstellung gefällt uns ungemein. Und so werden wir bis zum Ende unseres Aufenthaltes in der Hauptstadt die folgenden Galerien besucht haben:

  • National Museum of Natural History
  • Hirshhorn Museum and Sculpture Garden
  • National Portrait Gallery
  • American Art Museum
  • International Spy-Museum

Yayoi Kusama im Hirshorn Museum

Alle besuchten Museen waren einzigartig, gefielen und begeisterten uns. Und dass es mit einem Besuch der Sonderschau von Yayoi Kusama im Hirshhorn Museum klappte, erachte ich als ganz grosses Glück. Doch ganz ehrlich, die Möglichkeit einmal im Leben Spion «sein» zu dürfen und mit einer geheimen Mission betraut zu werden, die bis zum Ende des Museumbesuchs gelöst sein muss, das war schon abgefahren und ganz grosses Kino. Und so wird mir wohl das hochspannende Spy-Museum immer als etwas ganz Besonderes in Erinnerung bleiben.

International Spy-Museum

White House & Capitol

Am 10. September stossen Schatz und ich mit einem leckeren Cava in der Vue-Rooftopbar auf unseren elften Hochzeitstag an. Nirgends sei man dem Weissen Haus näher als von dieser Terrasse heisst es und tatsächlich, wir könnten allerdings Präsident Bidens Security auf dem Dach zuprosten, wenn sie denn dort gewesen wäre.

Hochzeitstag in der Vue Rooftop Bar

Der darauffolgende Montag ist ebenfalls ein spezieller Tag, denn wir haben es geschafft und Eintrittskarten für das Capitol ergattert. Lange Zeit waren Besuche nicht möglich, zuerst wurden sie wegen Corona ausgesetzt und dann stürmten am 6. Januar 2021 Anhänger des abgewählten Präsidenten D. Trump dieses geschichtsträchtige Gebäude. Auf einem 30 Meter hohen Hügel, am östlichen Ende der National Mall und gegenüber des Washington Monument liegt das Capitol, Sitz des Kongresses und Tagungsort sowohl des Senats wie des Repräsentantenhauses.

Capitol in Washington DC

Nach der Sicherheitskontrolle gelangen wir in das neue, 671 Millionen US-Dollar teure Visitor Center, welches 2008 eröffnet wurde. Wie nicht anders zu erwarten, funktioniert die Organisation auch hier und wie immer und überall in den USA perfekt und so folgen wir kurze Zeit später mit Headset ausgestattet unserem persönlichen Guide. Das Highlight des Rundgangs ist der Besuch des 55 Meter hohen Kuppelsaals, wo Gemälde verschiedener Maler die Entwicklung der USA und Ereignisse aus dem Revolutionskrieg zeigen. Über das ganze Kapitol verteilt stehen Statuen berühmter Amerikaner, immer zwei pro Staat, die meisten davon in der National Statuary Hall.

Besuche einer Sitzung des Senats

Guest Pass to visit the SenateGegen Ende des zackig getimten Rundgangs vernehmen wir vom Guide, dass für die nachmittägliche Sitzung des Senates Tickets verfügbar seien. Wir stehen an und kommen tatsächlich zum Zuge. Handtaschen, Handys, Getränke, Alles muss vorgängig abgeben werden. Nach einem Body Scan müssen wir uns mucksmäuschenstill gedulden, bis uns einer der Ordner die Türe zur Empore öffnet und wir auf den zugewiesenen Sitzen Platz nehmen können. Verwirrend ist, dass wir in einen fast menschenleeren Raum hinunterblicken, obwohl der Senat offiziell tagt. Nur gerade zweimal betritt ein Senator den Raum, um der Vorsitzenden in monotonem Tonfall sein Anliegen vorzutragen. Nichts wird’s mit lebhaften oder streitbaren Diskussionen oder gar einer spannenden Abstimmung und so schleichen wir uns eine halbe Stunde später etwas baff wieder hinaus.

Der ursprünglich zu Maryland gehörende Stadtteil Georgetown wurde zwar 1871 in den neu geschaffenen District of Columbia integriert, bewahrt sich aber bis heute seine Eigenständigkeit von Washington. Georgetown steht als Ganzes seit Ende der 1960er Jahre unter Denkmalschutz und in den ruhigen und traumhaften Stadthäusern residiert an teuerster Adresse meist demokratische Prominenz. Und bis heute wurde standhaft der Anschluss an das Metronetz verhindert.

Georgetown

Dann nehmen wir halt den Bus in diesen speziellen und wehrhaften Bezirk. Flanieren der M Street entlang und bewundern die farbig gestrichenen Häuser mit zum Teil spitzen Giebeln und kleinen Fenstern. Den Fassaden entlang rankt sich Efeu und an den blank polierten Strassenlaternen hängen prächtige Blumenampeln. Die vielen Geschäfte und Boutiquen der meist oberen Preisklasse sind nur sehr dezent angeschrieben und fügen sich beinahe unscheinbar in die Häuser ein. Alles ist blitzsauber und wirkt ein bisschen wie geschleckt. Wir lassen uns im Ristorante Piccolo kulinarisch verwöhnen und schlucken etwas schwerer, als die Rechnung kommt. Die ist entgegen des Namens definitiv nicht piccolo.

Besuch bei Tian Tian & Mei Xiang

Grosse Pandas im Zoo Washington

Schier unglaublich, dass es sich einer der ältesten Zoo’s der USA leisten kann, keinen Eintritt zu erheben. Möglich machen das 30 Millionen Dollar Spenden, jährlich! 70% aus öffentlicher- und 30% aus privater Hand. Das Gelände ist mit seinen 66 Hektaren riesig und vermutlich kaum an einem Tag zu schaffen. Uns zieht es aber hauptsächlich wegen Tian Tian und Mei Xiang, den beiden Riesenpandas in den Tiergarten. Und gross Zeit zum trödeln bleibt uns eh nicht. Um halb vier müssen wir bereits wieder beim Washington Monument sein. Dieser 169 Meter hohe weisse Marmorturm mit der Form eines Obelisken wurde zu Ehren von George Washington errichtet. Er kann ebenfalls kostenfrei besichtigt werden. Ein Aufzug bringt uns bis unter die Spitze, von wo aus wir einen herrlichen Blick in alle vier Himmelsrichtungen und zur Vairea geniessen.

Ausblicke vom Washington Monument

Mehrmals am Tag und teilweise in der Nacht fliegen diverse Helikopter direkt über uns hinweg. Dann versteht man sein eigenes Wort nicht mehr. Die Roten gehören zur Coast Guard, die Schwarzen sind von Custom & Border Patrol und in den Grünen mit weissem Dach sind Regierungsbeamte unterwegs. Und wenn Letztere im Dreierverbund fliegen, dann sitzt in einer der Maschinen der amerikanische Präsident. Erklärt uns Elizabeth, die Tochter unserer Freunde Suzy und Glenn und Sprecherin im Pentagon. Zusammen mit ihr und ihrem Mann Patrick sitzen wir bei einem eiskalten Bier auf der Terrasse des Yachtclub mit herrlichem Blick auf den Fluss. Der gemeinsame Abend in der Rappahannock Bar wird noch sehr lang, feucht und lustig. Ein weiteres Mal geniessen wir unglaublich dankbar diese so ungezwungene, herzliche und gastfreundliche Art, die uns zuteilwird.

Elizabeth und Patrick

Alexandria

Old Town Alexandria setzt alles daran, dass sich der Besucher in die Vergangenheit zurückversetzt fühlt. In die Zeit von 1749, als die heutige Stadt ein kleiner Tabakhafen am Potomac war. Wir haben uns vermutlich halt einfach einen falschen Tag für unseren Besuch ausgesucht. Der Ort platzt fast aus den Nähten. Aber wen wunderts, es ist Samstag und das Art Festival findet statt. Maler, Bildhauer oder Juweliere aus allen Ecken des Landes präsentieren ihre Kunst. Die Preise in den Restaurants sind noch gesalzener als in der Hauptstadt. Dafür ist der Service um mindestens das Doppelte schlechter.

Alexandria

Und so sind wir uns am Ende des Tages sicher, dass das Highlight des Tages die Fahrten mit der schnellen, gelben Fähre war. Ein wenig sind wir auch gebauchpinselt. Der Kapitän hat die Passagiere doch tatsächlich über Lautsprecher informiert, dass sich heute zwei «Sailors from Switzerland» an Bord befänden. Und wusste sogar zu berichten, welches Boot das unsere ist und die Leute aufgefordert, Vairea zu fotografieren.

Arboretum in Washington DC

Am 18. September darf ich genau etwas, mich überraschen lassen nämlich. Denn es ist mein Geburtstag und erst noch ein Runder. Mein geliebter Mann kennt meine Liebe für Pflanzen und Bäume und verwöhnt mich mit einem Besuch im Arboretum. Das wunderschöne 446 Hektar grosse Anwesen knapp 15 Autominuten ausserhalb der City verfügt über eine schier unglaubliche Sammlung an Pflanzen aus aller Herren Länder. Und erst hier im nationalen Bonsai und Penjing-Museum merke ich, wie mir auch diese Art der Gartenkunst gefällt. Wir bestaunen Exponate aus China, Japan und den USA. Unglaublich, dass einige der hier präsentierten Ausstellungsstücke tatsächlich seit 1625 (!) gepflegt werden.

Bonsai- und Penjing-Museum

Arboretum in Washington

ehemalige Säulen des Kapitols im Arboretum

Und noch etwas ganz Spezielles und uns völlig Unbekanntes befindet sich an diesem Ort! Als 1828 mit dem Bau des Kapitols begonnen wurde, schritten die Arbeiten zuerst problemlos voran. Doch als 36 Jahre später die Kuppel fertiggestellt war realisierten die Bauherren, dass die Säulen das Gewicht aufgrund falscher Konstruktion nicht würden tragen können. Die 22 überflüssigen, korinthischen Säulen fanden dann ab 1958 auf der Ellipsenwiese im Arboretum sozusagen ihre letzte Ruhe. Sie sind heute ein beliebtes Fotosujet. Wir fahren wieder zurück nach DC und lassen diesen wunderschönen Überraschungstag bei einem feinen Dinner in der Rappahannock Oyster Bar ausklingen.

Rappahannock Oyster Bar

Der letzte Tag in DC ist angebrochen und mich beschleicht fast ein wenig Wehmut. Ein untrügliches Gefühl, dass es höchste Zeit wird weiterzuziehen. Zuerst jedoch schlüpfen wir noch einmal in unsere Laufschuhe und machen uns auf zum finalen Rundgang. Beim ehemaligen Postgebäude entdecken wir ein Schild, dass auf die Besichtigung des Glockenturms aufmerksam macht. Wir lassen uns mit dem Aufzug hochfahren und geniessen bei stahlblauem Himmel eine weitere Rundumsicht auf die Hauptstadt. Das zweithöchste Gebäude der Stadt war bis 2016 im Besitz von Donald Trump, der es als Luxus-Hotel umfunktionierte und einige Jahre unter seinem Namen betrieb. Heute führt es die Hilton Gruppe unter dem Namen Waldorf Astoria. Wir geniessen in der absolut atemberaubenden Lobby ein spätes Frühstück.

Waldorf Astoria

Abschied von Washington

Ford Theater

Frisch gestärkt stehen wir kurze Zeit später in der Loge des Ford’s Theater. Exakt dem Ort wo Präsident Abraham Lincoln am Abend des 14. April 1865 einem Attentat durch John Wilkes Booth zum Opfer fiel. Gleich gegenüber steht im Petersen House das Bett wo der sechzehnte Präsident der USA nach dem Anschlag hingebracht wurde und seinen letzten Atemzug machte. Uns reichts jetzt mit Geschichte, Gräueltaten und Grossstadt und wir wünschen uns wieder etwas mehr Natur und Ruhe. Am 20. September sagen wir zuerst Perle Cierra von der Marina und dann dieser absolut spannenden und faszinierenden Stadt Washington Adieu. Wir lösen uns von der Mooringboje und lassen uns von der Strömung den Potomac Richtung Chesapeake Bay heruntertreiben.

Washington DC im September 2022

Unsere Reise im Überblick Unsere Schatzkiste

4 Kommentare zu „Hauptstadt – Haupttreffer“

  1. Moin Ihr Lieben,
    es freut uns, dass Euch Washington D.C. auch so gut gefallen hat. Wir haben uns dort auch super wohl gefühlt. Ganz liebe Grüße aus Kanada, vielleicht sind wir in ein paar Wochen in Washington (dann aber state, nicht D.C.).
    Wiebke und Ralf

    1. Wie schön von Euch zu hören ihr Lieben! Für einen kurzen Moment hoffte ich auf ein Wiedersehen, aber nur bis ich den Zusatz State las 😉
      Euch weiterhin so unglaublich herrliche (Natur)Erlebnisse und herzliche Grüsse
      Martina und Daniel

  2. Graziella Schaffer

    Guten Morgen aus der Schweiz

    Wiederum ein spannender und lehrreicher Reisebericht. Ich habe ihn von Anfang bis am Schluss sehr genossen.
    Heinz und ich wünschen euch weiterhin viele schöne und spannende Momente.

    Herzlichst euere Freunde

    1. Wir freuen uns sehr, dass ihr Gefallen gefunden habt an unserem Reisebericht. Und so sind wir uns auf diese Art und Weise immer verbunden.
      Bis zum Wiederlesen, Hören oder Sehen grüssen Euch Eure Freunde herzlichst zurück

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