Die Raggeds und ihre zwei Seiten

Es macht mehr Sinn auf Long Island zu warten und nicht bei George Town, bis es mit dem Wetter für die Jumentos und Raggeds passt, finden wir beide und lassen den Anker in der grossen Thompson Bay ins türkisfarbene Wasser plumpsen. Ein Grund zugunsten der «langen Insel» liegt nur zwei Buchten entfernt und heisst «Chez Pierre». Vor zwei Jahren machten wir Bekanntschaft mit diesem französischen Restaurant und schwärmen noch heute von den Künsten des Meisters an seinen Kochtöpfen. Es hat sich nichts verändert, stellen wir beim Wiederholungsbesuch erfreut fest. Weder an der Lage des Lokals, noch an der Einrichtung, geschweige denn an den kulinarischen Fähigkeiten des Monsieur Pierre. Und natürlich dürfen bei einem galanten Franzosen die traditionellen Küsschen zur Verabschiedung nicht fehlen. Da soll noch jemand etwas gegen so viel Charme sagen.

Chez Pierre auf Long Island

Der zweite Grund kommt völlig unverhofft, als wir unser Boot eben an der Tankstelle festgemacht haben und trifft mich mitten ins Herz. Da schwimmt doch tatsächlich ein Manatee zwischen den Rümpfen unserer Vairea. Am Heck hält das torpedoförmige Wesen inne und streckt uns seine Schnauze aus dem Wasser entgegen. Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass die Seekühe scharf auf Süsswasser sind, sage ich zu Daniel während der Manatee tatsächlich fast gierig das ihm gereichte Wasser süffelt. Auch als die Kanne längst leer ist, reckt er seine weiche Schnauze immer wieder fordernd aus dem Wasser. Am liebsten wäre ich ja zu ihm ins Wasser gesprungen, aber unterdessen sind die beiden Tanks voll und wir machen vorsichtig dem nächsten Kunden Platz.

Manatee

Jumentos Cays & Raggeds

Am 17. März dann ist das gute Wetter für die Fahrt zu den Jumentos und Raggeds da. Der Kühlschrank ist prall voll, denn die kommende Zeit werden wir fern ab von der Zivilisation unterwegs sein. Bis auf den südlichen Ort Dunmore Town sind alle Inseln unbewohnt. Nach knapp der Hälfte der 40 Seemeilen langen Strecke ist es vorbei mit dem schönen Raumschotkurs. Der zweite Teil der Strecke ist wesentlich ungemütlicher und wir nicht unglücklich, als der Anker nach etwas über 7 Stunden in der Fishermans Bay in das Wasser fällt. Kurz nach uns trifft auch die SY Remedy ein und mit Mary und Phil geniessen wir im Anschluss eine Erkundungstour über die Insel. Noch hält sich der angespülte Abfall in Grenzen und wir sind uns fast sicher, dass der rostige Kühlschrank vermutlich gewollt auf der Insel landete.

Fisherman's Bay

Bereits früh am anderen Tag setzen wir das Grosssegel, nehmen den Anker auf und rauschen mit viel Speed der nächsten Insel entgegen. Wie schön, dass die Bedingungen ein ankern ganz im Norden von Flamingo Cay zulassen. Der Ankerplatz mit der Aussicht auf die halbrunde Bucht mit dem weissen Sandstrand ist einfach herrlich. Zu Fuss marschieren wir am späteren Nachmittag hinüber in die etwas südlicher gelegene Bucht, wo die Schiffe in deutlich mehr Schwell liegen. Bei unserer Rückkehr hat Vairea Gesellschaft von zwei weiteren Kats bekommen. Leider ändert der Wind anderntags seine Richtung und es läuft unangenehmer Schwell in die Bucht. Und so verlegen wir uns bei Nieselregen in die nur zwei Buchten entfernte Cove Bay. Als die Wolken endlich aufreissen machen wir uns mit dem Dinghy auf zum Strand und geniessen nach einem kurzen Aufstieg vom Hügel aus einen herrlichen Rundumblick.

Flamingo Cay North

Buenavista Cay & Racoon Island

Bis nach 9 Uhr müssen wir uns gedulden, dann sieht Petrus die Notwendigkeit ein und stellt den Regenhahn ab. Auf geht’s! Wir rollen die Segel aus und ziehen den Anker aus dem sandigen Untergrund. Je weiter südlich wir vorankommen, je stärker scheint Petrus Freude am Pusten zu entwickeln. Vairea hat Spass daran und schiesst mit bis zu 11 Knoten dem Ziel entgegen. Bereits nach vier Stunden ist mit Buenavista Cay unser Tagesziel erreicht. Wir verbinden die Ankerkontrolle mit einem Schnorchelausflug Richtung Strand und freuen uns ab den vielen kleinen Fischen, die uns ebenso neugierig betrachten wie wir sie. Dicke schwarze Regenwolken begleiten uns auf dem Rückweg und noch bevor wir unser Zuhause erreichen prasselt kräftiger Regen aufs Wasser. Das glättet den Schwell und wir verbringen eine wunderbar ruhige Nacht.

Buenavista Cay

Bei wieder blauem Himmel segeln wir anderntags nach Racoon Island und lassen den Anker in der Spanish Wells Bay ins klare Wasser plumpsen und geniessen bei herrlichem Wetter den obligaten Schnorchelausflug. Am 24. März erreichen wir nach den Jumentos die Raggeds. Im Kanal zwischen Ragged und Little Ragged soll ein herrlich geschützter Ankerplatz sein, haben wir von Segelbekannten gehört. Noch zweifelt Daniel an einem ruhigen Liegen und hegt eher den Verdacht, dass eine starke Strömung herrscht. Wie wir sie schon so oft erlebt haben in den schmalen Durchgängen. Just als wir Kurs auf die Durchfahrt nehmen, verlässt ein 58-Fuss grosser Kat den Ankerplatz. Nachdem er die enge Stelle passiert hat fahren wir vorsichtig dem Track nach über die flache Barre. Einfach herrlich ist das Bild das sich uns da präsentiert.

Between the Raggeds

Between the Raggeds

Und tatsächlich, fast wie in Abrahams Schoss liegen wir zwischen den beiden Inseln und müssen uns diesen malerischen Ankerplatz nur gerade einmal mit einem kleinen Motorboot teilen. Am späten Nachmittag besucht uns ein kleiner Ammenhai und Vairea wird von einem ganzen Heer von Barrakudas bewacht. Wir liegen bockruhig und verbringen tatsächlich eine völlig strömungsfreie Nacht. Am anderen Tag schwingen wir uns ins Dinghy und brechen auf zur Erkundungstour. Alles sieht traumhaft und so idyllisch aus, bis wir hinüber zur windzugewandten Inselseite laufen. Wir wussten aus Erzählungen von anderen Seglern, was uns da an Abfall und Müll erwartet. Aber es dann live zu sehen ist noch einmal eine völlig andere Hausnummer. Die ehemals leeren Strände sind komplett übersät vom angeschwemmten Unrat und ich schwanke zwischen Verzweiflung und Wut über diese menschgemachte Katastrophe. Wohin wird das nur führen fragen wir uns fassungslos. Etwas traurig gehen wir in dieser Nacht zu Bett.

Little Ragged Island

Mit diesem Ankerplatz ist für uns der südlichste Punkt erreicht und es beginnt der Rückweg zu den Exumas. Beim Realisieren, dass sich sein Zigarrenmekka Cuba nur gerade einmal 70 Seemeilen entfernt befindet, seufzt Daniel allerdings ein paar Mal tief. Tatsächlich sind wir Havanna näher als George Town auf den Exumas. Trotz der grossen Versuchung und viel Platz im Humidor heisst unser Ziel dann doch nicht Cuba sondern Middle Pen Bay auf Hog Cay. Diese Insel ist der Treffpunkt für die Boote auf dieser Inselkette. Stolz erhebt sich der Hog Cay Yacht Club am rechten Ende des langen Sandstrandes. Segler haben hier in Fronarbeit einen komfortablen Unterstand gebaut und wer mag hängt ein selbst gebasteltes Schild mit dem Namen des Bootes unter die Decke. Meist aus Abfall sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.

Hog Cay Yacht Club

Hog Cay Yacht Club

Wir freuen uns sehr, so viele Schilder von uns bekannten Seglern zu entdecken. Und seit dem 26. März 2023 hängt auch eines mit Vairea beschriftet dort. Besonders begeistert sind wir von den vielen Wanderwegen, die von engagierten Seglern gepflegt werden. Ein ums andere Mal durchstreifen wir die Insel in allen Richtungen. Ich vermeide fast krampfhaft an die Luvseite zu gelangen und wenn doch, dann schliesse ich die Augen vor den Plastik-Abfallbergen. Bei einer unserer unzähligen Wanderungen treffen wir auf einen ganz besonders sangesfreudigen Vogel. Egal wie nahe wir ihm kommen, er ist nicht zu stoppen. Fast kommt es uns vor, als ob er uns den Marsch blasen möchte.

Wanderung auf Hog Cay

Am 27. März verlegen wir uns nur zwei Seemeilen weiter nördlich an den Double Breasted Cay. Bei der Erkundungstour mit dem Dinghy entdecken wir unzählige Stachelrochen und schrecken sogar einen wunderschönen Mantarochen auf. Den hätte ich hier im seichten Wasser nie und nimmer erwartet. Zum Glück passt es am Folgetag mit Wind und Welle und wir können uns in den Johnson Cay verlegen. Ob es tatsächlich DER schönste Ankerplatz der Raggeds ist, bleibt im Auge des Betrachters. Wir Beide sind von der Kulisse völlig begeistert und dieser Platz bleibt definitiv ein Highlight auf unserer Reise durch die Raggeds. Für den kommenden Durchzug einer stärkeren Windphase aus Nordost verlegen wir uns am späteren Nachmittag wieder in die gut gefüllte Middle Pen Bay auf Hog Cay.

Johnson Cay

Lobster in den Raggeds

Die kommenden zwei Tage sind gut ausgefüllt mit Wanderungen und Schnorchelausflügen einerseits und Arbeiten rund ums Boot anderseits. Unser Anker hat sich bombenfest in den Sand eingegraben, ganz im Gegenteil zum Geschirr unseres Nachbarliegers, den wir an einem der Morgen erst einige hundert Meter hinter uns ausmachen. Am frühen Abend fährt ein Fischerboot in gemächlichem Tempo durchs Ankerfeld und Danis geübtem Auge entgeht nicht, dass sie frischen Fisch und Conch an Bord haben. Auf sein Winken kommen sie etwas näher. Ungewohnt scheu und erst auf unsere freundliche Nachfrage zeigen sie uns ihren Fang und erzählen, dass sie auch Lobster dabeihaben. Ja, sie würden uns gerne etwas verkaufen und erst noch zu einem sehr moderaten Preis. Und so wird unser letzter Abend auf Hog Cay mit einer herrlichen Schlemmerei gekrönt.

Lobster in den Jumentos Cays

Nach einer Übernachtung im Flamingo Cay heisst es Abschied nahmen von dieser speziellen Inselkette und es beginnt die etwas längere Fahrt Richtung Exumas. Bereits kurz nach 7 Uhr holen wir den Anker auf und ziehen mit gesetztem Grosssegel nordwärts. Bereits 30 Minuten später beisst eine kleine Makrele an, das Nachtessen ist gerettet. Eine weitere Stunde später rauscht die Angelrute schon wieder aus. Dieses Mal hängt ein Barrakuda dran, den wir aber wieder frei lassen. Kurz vor 13 Uhr schläft der Wind leider komplett ein, wir bergen die Segel und müssen wohl oder übel die Motoren starten. Aber die Verhältnisse haben auch ihr Gutes, denn ohne Wellen, mit der Sonne im Rücken und mit beginnendem Hochwasser können wir die Passage durch den Hog Cay Cut wagen. Ganz vorsichtig und gekonnt manövriert Daniel unsere Vairea durch die flachen Passagen. Alles gelingt problemlos, wobei die Minimaltiefe zwischenzeitlich 0,3 Meter unter dem Kiel betrug.

Hog Cay Cut

Hog Cay Cut

Direkt nach der Durchfahrt suchen wir uns eine Stelle, wo es nicht allzu sehr strömt und werfen den Anker ins Wasser. Ganz alleine geniessen wir die Ruhe und die lecker zubereitete Makrele. Zum Festmahl lassen wir unsere Eindrücke Revue passieren. Keine Frage, die Inseln haben uns gefallen und der Ankerplatz zwischen Ragged und Little Ragged hat mich völlig begeistert. Aber so schön und betörend die windabgewandte Seite auch sein mag, der Kontrast zur anderen Seite mit den schier unglaublichen Plastikbergen ist und bleibt verstörend und dominant.

Die andere Seite

Diese Bilder haben sich leider richtig eingebrannt. Zudem hatten wir oft viel Wind und Schwell an den Ankerplätzen und kamen so nie in diesen optischen Genuss, der sich bei Flaute bietet. Und so hat sich bei mir halt nie dieser erhoffte Wow-Effekt eingestellt. Nach 16 Tagen Ruhe und mehrheitlich Einsamkeit geht’s jetzt nach George Town und zurück in die Zivilisation. Am 11. April fliegen unsere lieben Freunde Susi und Bruno ein und zusammen werden wir in knapp 3 Wochen bis nach Nassau segeln. Die Honeymoon-Suite ist eingerichtet und die Freude auf die Beiden riesig.

Im März 2023 in den Jumentos Cays

Unsere Reise im Überblick Unsere Schatzkiste

6 Kommentare zu „Die Raggeds und ihre zwei Seiten“

    1. Martina & Daniel

      Vielen Dank für Deine Zeilen lieber Stefan. Ich nehme an, ihr wart damals genau so schockiert über den Müll wie wir in diesem Jahr. Übrigens, das Ex-Invia liest sich sehr gewöhnungsbedürftig…. Ganz liebe Grüsse in die Heimat aus den Abacos

  1. Elisabeth Heigl- Berger

    Wie schön bei uns hatte das „Chez Pierre“ leider schon geschlossen (COVID), den Lobster haben wir selbst gefangen und eine Italienerin hat uns dann in der Hog Cay, Lobster Pasta gezaubert. Tage später durften wir dann nicht einklarieren in George Town . Alles Liebe Euch noch ⛵️

    1. Martina & Daniel

      Das Chez Pierre hätte Euch bestimmt gefallen, aber zum Glück wurdet ihr mit einem Lobster entschädigt. Und erst noch mit einem selbst gefangenen, ein besonderer Festschmaus. Wir schicken ganz liebe Grüsse zu Euch nach Griechenland

  2. Ihr Zwei Welten Segler, wieder eine bereichernde und intressante Geschichte von Euch Zweien, die ich gerne mitverfolge. Es gibt soo viele schöne Flecken auf dieser Erde. Mit euren Erzählungen und den tollen Fotos dürfen wir Alles “fast” life miterleben. Es liebs grüessli Ruth und Rolf

    1. Martina & Daniel

      Hallo Ruth und Rolf
      Danke für Eure lieben Worte und schön, dass ihr auf diese Art bei uns mit an Bord seid. Und definitiv, unsere Welt hat so schöne Orte. Die gilt es zu schützen und zu denen muss man gut Sorge tragen. Liebe Grüsse zu Euch in die Heimat aus den Bahamas

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