Zerzaust und zerzupft. Vom Paradies zum Albtraum und zurück?

Die knapp 10 Stunden von Bimini nordwärts verlaufen unspektakulär und zum Glück viel weniger wellig wie befürchtet. Ziel ist der Ort West End auf Grand Bahama wo sich nach 61 Seemeilen ein Kreis schliesst. Denn genau hier endete im vergangenen Jahr unsere erste Bahamasreise und wir segelten damals am 25. Mai nach Charleston USA. Richtig froh bin ich ja um die frühe Ankunftszeit und dass uns dadurch genügend Tageslicht für das Ankermanöver bleibt. Denn aus damaliger, leidvoller Erfahrung wissen wir um die schlechte Beschaffenheit des Grundes in der südlich des Indian Cay gelegenen Cross Bay. Und tatsächlich wird unsere Geduld an diesem 25. Februar erneut auf eine harte Probe gestellt.

West End in Grand Bahama

Wir brauchen ungewöhnliche acht Versuche, bis der Anker bombenfest sitzt. Ich werde mich wohl nie mit diesem Ort anfreunden, da bin ich mir fast sicher. Wir sehen von einem Landgang ab, zum einen kennen wir West End bereits, zum anderen sind wir doch recht müde und wir wollen am anderen Tag bereits früh wieder weiter.

Zerzauste und zerzupfte Cays

Und so heben wir noch etwas verschlafen um 8 Uhr den Anker, biegen dieses Mal aber ostwärts ab. Konzentriert pilotiert Daniel unsere Vairea durch flaches Gebiet und ich darf wieder einmal als Ausguck auf zwei Beinen meinen Dienst verrichten. Durch den Feldstecher erspäht mein Captain dann am frühen Nachmittag unser Tagesziel. Mangrove Cay sieht aber arg zerzaust aus, meint er fast etwas mitfühlend, fast ein wenig wie ein zerzupftes Huhn. Wir sind unterdessen in diesem Gebiet angekommen, wo Hurrikan Dorian am 1. September 2019 so entsetzlich wütete und wo sich die Natur nur langsam erholt. Und mit eben diesem Hurrikan Dorian schliesst sich für uns ein zweiter Kreis. Denn bevor er sich auf dem Weg von der Karibik nordwärts zum Hurrikan der höchsten Stufe entwickelte, mussten wir wegen dem damals noch tropischen Sturm Dorian im August 2019 von Bequia nach Grenada ablaufen.

Mangrove Cay

Am früheren Nachmittag fällt dann vor der unbewohnten Insel Vaireas Anker ins Wasser und wir freuen uns schon sehr auf eine Ankerkontrolle im endlich warmen und klaren Wasser der Bahamas. Wenigstens sind wir jetzt erfrischt, lacht Daniel als ich bibbernd und mit einer Ganzkörperhühnerhaut aus dem kühlen Wasser steige. Und von wegen klar, gebe ich ihm schlotternd zur Antwort, das hier war mehr als trüb. Bei einem wärmenden Kaffee sehen wir dann die Sonne im Westen untergehen, bevor sie sich wie wir schlafen legt. Wir sollten die Gunst der Stunde nutzen, um mit den aktuellen Wetterverhältnissen gut ostwärts voranzukommen rät Daniel nach dem Wetterstudium. Denn selbst hier im flachen Gebiet ist der Weg bei zu viel Wind gegenan ein sehr mühsamer.

Great Sale Cay

Ich wünsche mir als nächsten Stopp Great Sale Cay, denn auf dieser Insel lockt ein Landgang. Ja, es soll sogar einen zwar kurzen aber netten Wanderweg geben. Der Vorschlag wird einstimmig gutgeheissen, passt die Distanz doch perfekt für den nächsten Schlag. Der 27. Februar präsentiert sich heiter, nur im Osten zeigt sich ein fetter, hässlicher Squall. Dummerweise hockt der doch genau dort wo wir hinwollen. Also lieber noch einen Kaffee trinken und auf dem Radar die Zugrichtung dieses Biestes beobachten. Als er sich dann zum Glück nordwärts bewegt, setzen wir die Segel und nehmen den Anker auf. Great Sale Cay ist bedeutend grösser wie zuvor Mangrove Cay, leider schaut die Insel aber genauso aus wie ihre Vorgängerin. Auch hier scheint sich die Vegetation nur langsam zu erholen und die wenigen verbliebenen Büsche und Mangroven sehen aus wie abrasiert.

Great Sale Cay

Wir lassen den Anker in der geschützten Bucht in den blütenweissen Sand plumpsen und fahren nach der Ankerkontrolle mit unserem Beiboot an den zwei Monohulls vorbei Richtung Land. Kein Lüftchen weht und die Hitze scheint über der zerzausten Insel zu stehen. Aufgehängte Plastikteile an den abgestorbenen Mangrovenästen weisen den Weg auf die andere Seite Richtung Strand. Dort werden wir vom herrlichen Blau und Türkis des Wassers beinahe geblendet. Hier sind sie wieder in ihrer ganzen Pracht, die so einmaligen Farben der Bahamas. Und was für ein herrliches Gefühl, wieder in Bewegung zu sein. Wie hat mir das die letzten Tage gefehlt. Und so geniessen wir mit Wonne einen längeren Spaziergang dem Wasser entlang, müssen aber einige Male grossen Betonblöcken ausweichen, die vom Hurrikan ins Wasser geblasen wurden.

Crab Cay

Zurück auf der Vairea fällt es uns Beiden auf: wir hören absolut nichts. Es ist vollkommen ruhig. Es ist sogar so still, dass es fast in den Ohren schmerzt. Das Wasser ist komplett flach, kein Lüftchen weht, nicht ein Vogellaut, kein einziger Ton dringt an unsere Ohren. Eine sehr spezielle Situation, die den ganzen Abend und fast die ganze Nacht über anhält. Gegen Morgen dann dreht der Wind auf Süd, bringt Wellen und wieder Geräusche in die Bucht. Und für uns wird es Zeit aufzubrechen. Als wir der langen Küste von Great Sale Cay entlang segeln hält wieder einer dieser abscheulichen Squalls auf uns zu. Vorsichtshalber bergen wir alle Segel, bis sich das Biest entfernt hat. Zum Glück lässt er vorwiegend viel Regen zurück, den wir sehr gerne nehmen, denn so wird unsere Vairea wieder etwas entsalzen.

Squalls - die unangenehmen Begleiter

Wieder mit gesetzten Segeln geht es kurz danach flott voran. Unterdessen hat der Wind so sehr aufgefrischt, dass wir doch tatsächlich ein Reff einbinden müssen. Das ruft nach einer Planänderung, denn diesen guten Segelwind wollen wir zum Vorwärtskommen nützen und so brausen wir am ursprünglichen Ziel Fox Town vorbei. Nächster Halt Crab Cay, wo der Anker nach 41 Seemeilen ins Wasser plumpst. Ich bin etwas traurig, dass es nichts wird mit einem Landgang. Denn hier scheint Dorian einige wunderschöne Palmen verschont zu haben, die sich hinter einem Sandstrand aufrecht der abendlichen Sonne entgegenstrecken. Aber leider ist der Weg ans Ende der Bucht weit, das Wasser viel zu unruhig und der Wind bläst schon wieder dunkle Regenwolken auf Vairea zu. Und so bleibt es halt bei einem sehnsuchtsvollen Blick.

Gewitter – die unangenehmen Zeitgenossen

Wir schlafen wunderbar, bis uns gegen vier Uhr in der Früh Blitz, Donner und starker Wind aus dem Bett scheuchen. Der Anker hält auch bei Windspitzen von gegen 40 Knoten perfekt und die Gewitterzelle zieht glücklicherweise an uns vorbei. Nach dem Spuk gönnen wir uns noch etwas Schlaf bevor wir um halb acht Uhr die Segel setzen und den Anker hochnehmen. Je länger die Fahrt dauert, umso mehr Freude bekomme ich beim Anblick der Landschaft. Beidseits ziehen Inseln und Inselchen an uns vorbei, vor denen das Meer in diesem einmaligen Türkis leuchtet.

Da vorne liegt Green Turtle Cay ruft Daniel, unser heutiges Ziel. Und wieder einmal Zivilisation, gebe ich erfreut zur Antwort. Entgegen unserer Gewohnheit wollen wir hier aber auf ein Ankern verzichten. Im Wissen, dass die Leute mit dem Hurrikan und der Pandemie harte Zeiten hinter sich haben und sich erst wenige Segler wieder hierhin verirren, wollen wir sehr gerne einige Dollars bei den Menschen lassen und rufen Donny über Funk auf. Der vermietet nämlich unter anderem Mooringbojen und ja, er hat eine frei für uns.

Donny's Marina in Green Turtle Cay

Was für ein trauriger Anblick, diese vielen abgestorbenen Mangroven, die den Black Sound säumen. Links und rechts sehen wir nebst einigen unversehrten oder bereits wieder aufgebauten Häusern auch Ruinen, zerstörte Stege und versehrte Boote. Nach der Bezahlung für die Boje machen wir uns auf Richtung New Plymouth. Welche Überraschung! Überall in diesem kleinen Städtchen mit den vielen farbigen Häusern wird gearbeitet, gebohrt und gehämmert. Nichts ist zu spüren von dieser Lethargie, wie wir sie schon auf anderen von Hurrikans heimgesuchten Inseln erlebten. Wo es auch noch Jahre danach so aussah, als hätte sie das Elend eben erst heimgesucht. Geschäftig kurven hier Autos und Golf Carts beladen mit Baumaterial durch die engen Strässchen.

Green Turtle Cay

Viele Häuser erstrahlen bereits wieder in neuem Glanz, andere sind auf dem besten Weg dahin. Bereits laden eine Handvoll Restaurants ein und die nette Dame vom brandneuen Lebensmittelladen freut sich sehr über unseren Besuch. Was für eine positive Stimmung liegt nach etwas mehr als zwei Jahren nach dieser Naturkatastrophe über diesem schmucken Ort. Auch der längere Fussmarsch quer über die Insel am anderen Tag zeigt dasselbe mutmachende und positive Bild. Zwar gibt es immer noch einige Trümmer, verlassene Grundstücke oder vor sich hin rostende Autos. Aber vor allem stechen uns die meist liebevoll wieder aufgebauten Zuhause ins Auge, die tropischen Gärten mit zum Teil bereits wieder blühenden Pflanzen, Büschen und Bäumen.

New Plymouth

Was uns aber in Green Turtle Cay wirklich tief beeindruckt, ist diese Sauberkeit und die Ordnung. Weder auf den Privatgrundstücken noch auf öffentlichem Grund liegt Schutt, Abfall oder Unrat herum. Da wurde ganz fleissig in die Hände gespuckt und mit ganz grosser Anstrengung auf- und weggeräumt. Was da geleistet wurde, zollt höchsten Respekt, gerade nach so einer erlittenen Katastrophe. Und so sind wir eigentlich guten Mutes, dass dieses ehemalige Paradies wieder zu einem wird und hoffen vor allem, dass die Menschen von einer wiederholten Katastrophe verschont bleiben. Den herrlichen Strand der Gillum Bay ganz alleine für uns zu geniessen ist natürlich einmalig, aber selbstverständlich wünschen wir der Insel und Menschen von Green Turtle, dass wieder vermehrt Segler hierherkommen und etwas verweilen. Wir nehmen jetzt Abschied von diesem hübschen Ort, ziehen weiter ostwärts und sind freudig gespannt auf weitere Orte der Inselwelt der Abacos.

März 2022 am Gillum Beach auf Green Turtle Cay / Bahamas

Unsere Reise im Überblick Unsere Schatzkiste

4 Kommentare zu „Zerzaust und zerzupft. Vom Paradies zum Albtraum und zurück?“

  1. Super habt ihr es und momentan ist soweit von Europa weg wie möglich glaub das Beste! Weiterhin gute Fahrt und immer eine handbreit Wasser unter dem Kiel:-)

    1. Hoi Richi, so schön von Dir zu lesen! Auch uns machen die Schlagzeilen aus Europa sprachlos. Ein Krieg auf europäischem Boden war doch eigentlich undenkbar! Insofern sind wir mehr als dankbar, hier weit weg von dieser Katastrophe zu sein. Ganz herzliche Grüsse und alles Liebe

    1. Wir hätten nie mit dieser positiven Entwicklung gerechnet. Ist es doch erst etwas mehr als zwei Jahre her, wo der verheerende Majorhurrican Dorian hier einschlug und man muss schon hinschauen um die Schäden zu entdecken. Ja, eine wirklich schöne Entwicklung. Ich habe eben Deinen Blogbeitrag zum schönen Antigua gelesen. Ein herrlicher Fleck und ein toller Bericht. Liebe Grüsse zurück aus Hope Town, Abacos

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