Gran Canaria: eine Insel mit so verschiedenen Gesichtern

Vor mehr als 20 Jahren machte ich mit meinen Kindern Urlaub auf Gran Canaria. Wir nächtigten ganz im Süden in Playa del Ingles. Hässliche Betonburgen, überall Müll, besoffene Touristen, Lärm und Gebrüll die ganze Nacht, Kakerlaken in der Wohnung, die Tochter mit Mittelohrenentzündung vom verdreckten Poolwasser. Das waren nur ein paar Gründe weswegen ich felsenfest überzeugt war, nie mehr einen Fuss auf diese Insel zu setzen. Machte ich auch nicht – bis jetzt. Denn nun sitze ich hier, auf Gran Canaria, in der Marina von Las Palmas und das schon seit einer Woche. Und wir werden sogar noch weitere Tage bleiben, es gefällt uns nämlich gut hier, sehr sogar. Es erinnert an Mallorca, das ja auch nicht nur aus El Arenal/Ballermann besteht, sondern wie Gran Canaria sehr viel mehr zu bieten hat.

Klar, der erste Eindruck vom Meer her auf Las Palmas ist alles andere als berauschend. Die kilometerlangen Hochhauszeilen, eine 4-spurige Autobahn und die grossen Hafenbauten sind nach dem beschaulichen Lanzarote mehr als ein kleiner Kulturschock. Die Marina ist mit über 1200 Plätzen eine der grössten Europas und auch zu dieser Jahreszeit sehr gut belegt. Im Hafen „Muelle deportivo de las Palmas“ sieht man in Tat und Wahrheit fast alles, von ganz gross bis munzig klein, von sauteuer bis zum Schnäppchen und von der schwimmenden Antiquität bis zum neusten Designteil. Der freundliche Marinero bringt uns zu unserem Liegeplatz am Ponton T und hilft beim Anlegemanöver. Seit langem wieder einmal die ungeliebten Mooringleinen, na dann halt.

Ziemlich bald merken wir, dass unsere Vairea an diesem Steg eine Aussenseiterin ist. Denn die meisten der hier liegenden „Yachten“ werden bestimmt nie mehr bewegt werden, weil gar nicht mehr seetüchtig. Teilweise sind sie sogar in einem desolaten Zustand. Auf einigen Booten wird noch gewohnt, andere sind nur abgestellt und dann gibt es jene, die an der Kette hängen. Die Stimmung aber ist an unserem Steg wie generell in der ganzen Anlage freundlich und sehr relaxt. Im Herbst, rund um die ARC (Antlantic Ralley for Cruisers) soll hier der Bär steppen und die Hölle los sein. Dann werden wir aber bestimmt nicht mehr hier liegen.

Wir haben uns seinerzeit aus Platzgründen gegen eine Waschmaschine an Bord entschieden und so bin ich halt immer wieder auf der Suche nach einem Waschsalon. Klar gibt’s Maschinen auch hier in der Marina, aber ich bin froh, dass es in Fussdistanz eine moderne Lavandaria gibt. Endlich wieder voll funktionsfähige und saubere Maschinen und das erst noch zu moderaten Preisen. Nach einem halben Tag im Salon liegt die Wäsche wieder sauber gewaschen im Schrank.

Uns interessiert es, hinter die erste Fassade von Las Palmas zu blicken. Was sich hinter den Hochhauszeilen der 380‘000 Einwohner zählenden Hauptstadt befindet. Die beiden Teile der Altstadt Triana und ganz besonders Vegueta haben sich ihr Ambiente der Kolonialzeit bewahrt. Wir flanieren am Plaza Espiritu Santo mit seinen vielen und grossen Hundestatuen aus Bronze vorbei, werfen einen Blick ins Kolumbushaus, bestaunen die Pracht am Gabinete Literario und steigen auf den Turm der Santa Ana Kathedrale. Von dort oben haben wir einen tollen Rundumblick auf das geschäftige Treiben von Las Palmas. Sehr zu gefallen vermögen uns auch die autofreien Gässchen mit den vielen kleinen Geschäften rund um den Santa Catalina Park und La Isleta. Beim Eintauchen in die verwinkelten Gässchen beginnen zwei Augen zu leuchten, denn Daniel findet doch tatsächlich einen Zigarrenladen, der handgerollte Zigarren mit kanarischem Tabak von La Palma anbietet.

Ziemlich schnell merken wir, dass das Erkunden der Insel ausserhalb der Hauptstadt mit dem Bus etwas umständlich ist und so holen wir am 24. Juni am Flughafen unseren Mietwagen ab. Mit einem schnittigen Fiat 500 wollen wir uns die kommenden Tage auf der Insel umschauen. Unser Hauptaugenmerk gilt zuerst den anderen Marinas und Ankerplätzen im Süden, vielleicht ist ja ein Wechsel von Vorteil. Den ersten Halt legen wir aber in Maspalomas ein, denn ein Spaziergang auf den langen und hohen Dünen muss sein. In Arguineguin setzen wir uns zur Mittagszeit am Hafen in der Fischkooperative an einen der letzten freien Tische. Nach dem Essen sind wir uns einig, dass wir selten so leckeren und vor allem so frischen Fisch genossen haben. Leider kann uns keine der südlichen Marinas überzeugen und ganz ehrlich, der Anblick dieser zugebauten Küste ist schlicht ein Graus. Nur das hübsche Mogan wäre eine Alternative, drängt sich aber nicht auf. Daniel konnte sich jetzt mit eigenen Augen von der Scheusslichkeit überzeugen und teilt meine Ansicht.

Es ist zum Vorteil, wenn man immer noch sehr guten Kontakt zum ehemaligen Chef aus Frauenfelder Zeiten hat. Denn Peter J. macht seit Jahren Urlaub auf dieser Insel und kennt die schönen Ecken wie seine Hosentasche. Mit seinen Vorschlägen geht’s vorbei an Palmen und durch Kiefernhaine nach Teror, ja das ist der Name, einem der Vorzeigeorte auf der Insel und unsere erste Anlaufstation. Mit viel Geld und Anstrengung wurde dieser Ort herausgeputzt und präsentiert sich den zahlreich anreisenden Touristen. Werbetafeln sind verboten und alle Hinweisschilder sind aus Holz und einheitlich gestaltet. Wir flanieren durch den Ortskern und finden endlich auch Kräuter für meinen Schiffs“garten“. Sind uns aber einig, dass Teror ein wenig zu geschleckt ist, zu wenig authentisch. Artenara ist das höchstgelegene Dorf (1270 Meter) und wird uns vor allem aus kulinarischer Sicht in Erinnerung bleiben. Die ehemalige Poststelle ist jetzt die etwas unscheinbare Beiz „Casa del Correo“. Wir bestellen die kanarische Spezialität, „Paraillada Carne“, eine Platte mit verschiedenen Fleischstücken, eines saftiger und köstlicher als das andere. Krönung ist die kanarische Blutwurst, gespickt mit Mandeln und gewürzt mit Anis. Ein völlig ungewohnter Geschmack, aber schlicht saulecker.

Auf 1500 Meter liegt der Pass Cruz de Tejeda, die Wetterscheide zwischen Nord und Süd und knapp darunter, etwas südlich gelegen das Bergdorf Tejeda. Auch diesem Ort wurde ein kostenintensives Schönheitslifting verpasst, doch das Dorf blieb lebendig. Tejeda liegt grandios eingebettet in der zerklüfteten Bergwelt und die weissen und terrassenförmig angelegten Häuser werden von Mandel- und Obstbäumen, sowie Blumengärten eingerahmt. Daniel wird durch einen feinen Mandelduft beinahe magisch in die Dulceria Noble gezogen. Die berühmten Mandeltörtchen und weitere Süssigkeiten sind inselweit bekannt. Leider führt der berühmte Stausee „La Sorueda“ fast kein Wasser und sein Anblick ist mehr als kläglich. Der Weg zurück zur Autobahn und heim nach Las Palmas führt uns durch gefühlte 1000 Kurven, fast ein wenig so wie in der Schweizer Bergwelt.

Nach dem tollen Hinterland nehmen wir uns den Norden Gran Canarias vor. Wir fahren der  brandungsumtosten Küste entlang bis nach Puerto de las Nieves, einem völlig unaufgeregten kleinen Ort unterhalb eines steilen Bergmassives mit massiven Steilklippen (1200 Meter hoch!) und geschützt durch eine Mole. Ich bin erstaunt, dass das Wasser so unglaublich klar ist, obwohl vom Hafen gleich nebenan die Fähren nach Teneriffa übersetzen. Das Wahrzeichen des hübschen Ortes ist der „Dede de Dios“, eine bizarre Felsformation, die aus dem Meer ragt. Leider riss ein tropischer Sturm im Jahr 2005 dem Finger Gottes die Spitze ab. Der Wind ist sehr kühl und so verzichten wir auf ein Bad in den herrlichen Naturpools.  Auf der fruchtbaren Ebene rund um Guia und Galdar werden Gemüse und Bananen angepflanzt. Galdar lassen wir heute links liegen, aber das Käsemekka Santa Maria de Guia wollen wir uns ansehen. Wir merken schnell, dass dieser Ort aber noch viel mehr zu bieten hat. Auf dem Rundgang entdecken wir eine wunderbare Kirche mit einer grossartigen Madonna, kopfsteingepflasterte Gassen und prachtvolle Herrenhäuser. Guia ist ein Ort, wo man gerne ein wenig länger verweilt. In der Casa Ermita de San Antonio befindet sich die Queseria, die unter anderem den speziellen Blütenkäse herstellt. Dieser wird nicht mit Lab, sondern mit Disteln fermentiert. Eine cremige Konsistenz mit einem feinen, leicht säuerlichen Geschmack attestieren wir dem Käse. Zum Nachtisch müssen wir einfach nur die Strassenseite wechseln, es lockt wieder so eine süss duftende Bäckerei mit Mandelgebäck. Zurück beim Parkplatz klebt an der Windschutzscheibe unseres Autos ein verdächtig aussehender Zettel. Richtig, eine Parkbusse. Ungläubig entziffern wir den Betrag: 90 Euro??!! Etwas weiter unten lesen wir, dass wir die Busse mit Nachzahlen von 6.00 Euro annullieren können. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, werfen die Münzen in den Parkautomaten und stecken den Parkschein zusammen mit der Busse in den dafür vorgesehenen Schlitz an der Parksäule. Spannend, Bussen-Annullation mittels Nachzahlen, das haben wir auch noch nie erlebt. Die letzte Station auf dem Heimweg ist „Cenobio de Valeron“. Die Höhlenanlage ist eine von vielen auf der Insel, zählt aber zu den spektakulärsten, archäologischen Fundstätten Gran Canarias. Die fast 200 Höhlen wurden von den Altkanariern vor über 500 Jahren in den harten Fels gehauen und dienten vermutlich zur Lagerung von Getreide oder anderen Lebensmitteln. Wie auch das Hinterland gefällt uns der zwar sehr schroffe, aber doch grüne Norden mit den subtropischen Tälern ausserordentlich gut.

Da war ja noch Galdar, das am 434m hohen Vulkankegel Montana de Galdar klebt und der im Volksmund auch etwas abschätzig Taschen-Teide genannt wird. In diesem, 20‘000 Einwohner zählenden Ort befindet sich etwas Einmaliges und für die Geschichte Kanariens Entscheidendes: die Cueva pintada. 1873 wurde die grosse Höhle mit ihren einmaligen Malereien in geometrischen Formen und nur in den Farben rot, schwarz und weiss entdeckt. Das Verblüffende ist, dass die Cueva pintada mitten in der Kleinstadt liegt und nicht etwa nebenan oder oberhalb und dass sich immer Bananenplantagen darauf befanden. Leider galt während der franquistischen Diktatur alles, was mit der Geschichte der Altkanarier zusammenhing als minderwertig und nichtssagend. Entsprechend schien das Erbe dem Verfall geweiht. Erst im ausgehenden 20. Jahrhundert setzte sich die Erkenntnis durch, dass es die Geschichte der Vorfahren zu schützen gilt. Leider war es da schon fast zu spät, denn das eingesickerte und mit Düngemittel versetzte Wasser hatte den Fresken arg zugesetzt.

Die Cueva wurde unterdessen mit Glasfronten geschützt und überdacht. Den Raum kann man besichtigen, eine Stahltüre zur Höhle wird jede Stunde für 5 Minuten geöffnet und beleuchtet. Fotos schiessen ist verboten. Unglaublich beeindruckende und interessante Zeitzeugen, aber es stimmt auch nachdenklich, wenn man erfährt dass die Ureinwohner Kanariens brutal ausgerottet wurden. Wie halt an vielen anderen Orten der Welt auch.

Der Ort selbst wirkt auf den ersten Blick hektisch, laut und etwas nichtssagend, aber das täuscht. Die Altstadt rund um die von aussen etwas düster anmutenden Kirche ist ein wahres Bijou. Ein wunderbarer, denkmalgeschützter Platz lädt zum Verweilen ein und im Patio des Rathauses steht der angeblich älteste, im Jahr 1718 gepflanzte Drachenbaum. Sollte es auch nicht der Älteste sein, er ist in seinen Ausmassen sehr beeindruckend! Den immer am Donnerstagvormittag stattfindende Wochenmarkt haben wir leider ganz knapp verpasst.

Der alte und unter Denkmalschutz stehende Stadtkern von Arucas gilt als attraktiv, was wir bestätigen können. Wie in Guia dominieren hier die vornehmeren Herrenhäuser und ähnlich wie in Galdar überragt eine mächtige Kirche, hier sogar eine Kathedrale, den Ort. Was uns, speziell Daniel, aber viel mehr interessiert, liegt etwas ausserhalb der Kleinstadt und heisst Arehucas. Seit 1884 wird in dieser Fabrik nämlich Rum aus Zuckerrohr gewonnen. Nach einem interessanten Rundgang durch die Fabrik darf gekostet werden. Des Experten Meinung fällt zwar klar zugunsten des Hochprozentigen auf Madeira (Maison de Rum in Sta. Cruz) aus, doch eine 18-jährige Flasche aus Arucas darf trotzdem mit aufs Schiff.

Auch der Norden kann bei uns mit dem Maximum punkten! Ich habe mich komplett mit Gran Canaria ausgesöhnt, ausgenommen Playa del Ingles 🙂 .

2 Kommentare zu „Gran Canaria: eine Insel mit so verschiedenen Gesichtern“

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