So schnell kann es umschlagen

Die Gastlandflagge von Dominica wird gesetzt. Niemand ahnt, dass es bald umschlagen wird.Wir ankern in der vermutlich nassesten Ecke von Martinique, denn über der Hauptstadt Fort de France kann das Wetter mehrmals täglich umschlagen. Richtig fette Regenwolken türmen sich im Himmel auf, die sich dann präzise über der Vairea entladen. Rennen – Luken zu, rennen – Luken auf, lautet unser tägliches Fitnessprogramm. In einer der unzähligen Regenpausen fahren wir mit Vairelita, unserem Beiboot, an Land und besorgen beim Carrefour oder Leader Price noch die letzten Lebensmittel. Aus unserem Kühlschrank weht jetzt der besonders verführerische Geschmack von Käse. Da dieser auf den meisten Inseln sehr schwer oder wenn nur schweineteuer zu kriegen ist, greifen wir hier beherzt zu. Am Schluss ist der Eisschrank so voll, wir brächten wohl kaum mehr ein Blatt hinein.

Lernen Dorothea und Frank kennen, die mit ihrem auffallend gelben Katamaran Fradolin II ganz in unserer Nähe ankern und uns bei einem Bier mit ganz viel Begeisterung von Dominica, unserem nächsten Ziel erzählen. Das es so schnell umschlagen kann, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Bevor es soweit ist, liegen wir noch zwei Tage vor St. Pierre, dem ehemals schönsten und nobelsten Ort, auch bekannt als das Paris der Karibik, bevor der Vulkan Pele 1902 alles unter sich begrub. Durch einen Vulkanausbruch kann das Leben schnell umschlagen. Gross ist die Wiedersehensfreude, als die SY Mariposa mit Trudi und Dölf einläuft. Ein schönes Bild in der Bucht, die zwei Lagoon-Katamarane 400 unter Schweizer Flagge. Wir haben uns viel zu erzählen und begiessen das Wiedersehen auf Vaireas Schwesterschiff, bevor es dann am 7. Dezember frühmorgens in Richtung Norden losgeht. Die SY Mariposa will direkt bis Les Saintes segeln, unser Ziel ist Roseau auf der Insel Dominica. Vorausgesagt sind bis 18 Knoten Wind und 2 Meter Wellen, ideale Bedingungen. Kein Umschlagen des Wetters in Sicht.

Vorsicht in den Kanälen – Das Wetter kann schnell umschlagen

Durch einen Hurrikan kann alles schnell umschlagenZur Vorsicht binden wir das zweite Reff ein. Denn Kanäle, wie der zwischen Martinique und Dominica können heimtückisch sein und das Wetter rasch umschlagen. Oft bläst der Wind mit bis zu 10 Knoten mehr. Doch wir erwischen hier wohl einen richtig tollen Segeltag mit passendem Wind und meist moderaten Wellen und können schon in der Mitte des Kanals ein Reff ausbinden. Ziemlich bald nach der Abdeckung von Dominica bei der Anfahrt auf Roseau schläft der Wind ein und die Segel werden flink geborgen.

Zwei Männer der Organisation Sea Cat kommen mit ihrem Motorboot längsseits. „Welcome in the paradise island, the green dream“ rufen sie uns mit Begeisterung zu, bevor sie uns helfen an einer der ausgelegten Bojen festzumachen. Wir sind Dominica-Neulinge, kannten die Insel also vor dem letztjährigen verheerenden Hurrikaneinschlag nicht und doch sehen wir die grossen Schäden an Gebäuden und Flora. Durch einen Hurrikan kann es eben schnell umschlagen. Dem Captain will Mr. Beanz den langen Weg mit dem Dinghi zum Custom für das einklarieren ersparen und so fährt Dani mit ihm und dem schnellen Boot hin. Wieder zurück an Bord erzählt uns Mr. Beanz einiges über die Insel und mögliche Landausflüge, etwas worauf wir uns sehr freuen.

Nachdem uns den ganzen Nachmittag über zwei Schildkröten immer wieder neugierig beobachten, zieht am frühen Abend doch tatsächlich relativ nahe ein Wal vorbei! Ein solches Willkommens-Komitee ist schlicht der Hammer. Noch ahnen wir nicht im Geringsten, wie schnell Alles schlagartig umschlagen kann.

üppige Natur in Dominica

Unerwartet schnell kann es umschlagen

Mit Armstrong, einem ortsansässigen Guide geht’s anderntags Richtung Inselinneres. Erstes Ziel eines langen Tages sind die Middleham Falls. „Take you time“ ruft er uns immer zu und ja, es gilt allerdings langsam und sehr konzentriert zu sein, denn die enorme Feuchtigkeit im Regenwald macht den Untergrund zuweilen richtig glitschig. Wir sind froh um unser gutes Schuhwerk. Stehen staunend vor dem riesigen Wasserfall und geniessen die herrliche Luft.

Auf demselben Weg geht es dann eine Stunde lang wieder zurück. Nur noch die Traverse durch ein kleineres Bachbett. Armstrong und Daniel sind bereits durch, als ich versuche, von einem Stein zum nächsten zu zirkeln. Genau in dem Moment, wo mein rechtes Bein abrutscht und sich der Fuss zwischen zwei Steinen verkeilt, dreht sich der restliche Körper in der komplett anderen Richtung zum hinfallen. Alles was ich spüre ist rasender Schmerz im Knie, ein Auftreten danach ist völlig unmöglich. Es braucht keinen Vulkanausbruch oder Hurrikan und trotzdem kann es schnell umschlagen.

Medizinische Versorgung in Dominica

Dani und Armstrong schleppen mich zum Auto und dann geht’s in rasanter Fahrt ins Princess Margaret Hospital nach Roseau. Da sitze ich dann 8 Stunden lang in einem Rollstuhl in den Gängen und warte. Aus dem nahen Gefängnis werden Insassen mit Handschellen gefesselt angeliefert, die schreien und toben. Eine ältere Frau macht sich derweilen Gedanken über ihre Hühnchen, die ungekühlt in der Tasche neben ihrem Rollstuhl liegen, klagt über den grossen Hunger der sie quält und versucht immer wieder auszubüxen. Und ich warte noch immer. Nach dem sehr umständlichen Röntgen eröffnet uns die Ärztin, dass ein Riss im Wadenbeinknochen vorliege, den sie hier im Spital mit einem Nagel flicken können. Oder aber wir gehen zurück nach Martinique und dort ins Universitätsspital zur genaueren Abklärung, wobei uns die zweite Lösung eindeutig mehr zusagt.

So schnell kann es umschlagenZur Ruhigstellung wird mir dann das komplette Bein eingegipst und um kurz vor 23 Uhr hilft mir Armstrong, der bis jetzt vor dem Notfall auf uns gewartet hat!, wieder in sein Auto. Wie um Himmelswillen komme ich nur auf unsere Vairea, geht es mir durch den Kopf. Die Lösung ist unglaublich! Da sind plötzlich ganz viele Männer die mich hochheben und auf Kommando von Mr. Beanz werde ich ganz sanft auf das Motorboot verladen. Armstrong hält mir auf der gesamten Fahrt wie eine Mama tröstend die Hand. Genauso organisiert geht es dann vom Motorboot auf unseren Katamaran. Bis wir Richtung Martinique aufbrechen, wird Mr. Beanz jeden Tag vorbeischauen, ob wir etwas brauchen und wie es mir geht. Unglaublich und berührend, diese Hilfsbereitschaft!

Zurück nach Martinique

Am Dienstag ganz früh ist es dann soweit, die Prognosen lassen eine einigermassen angenehme Fahrt nach Martinique zu. Wir versprechen Mr. Beanz uns sofort mit News zu melden, dann legen wir ab. Für den Skipper wird es ein anstrengender Törn, ist sein First Mate doch auf dieser Fahrt ausser Gefecht. Um 17 Uhr ist Vairea dann gut in der Marina Etang Z´abricots festgemacht und wir heilfroh angekommen zu sein.

Medizinische Versorgung in Martinique

Anderntags geht’s bereits früh und mit einem gemieteten Rollstuhl Richtung Spital und dort ein weiteres Mal in eine Notfallaufnahme. Auch hier ist langes Warten angesagt. Doch die Unterschiede bezüglich Ausrüstung und Standard sind riesig. Wie aber auch das Resultat des Röntgens und des Scanners! Ihr Schienbeinknochen ist oben im Gelenk gebrochen, eröffnet mir der Orthopäde. Hatte ich doch so sehr auf eine Prellung des Knies gehofft, haut mich diese Diagnose fast um. Denn dass ich bei dieser Verletzung nicht um eine Operation herumkomme, ist klar. Wir klären mit Dr. Rob alle Möglichkeiten ab und beschliessen, dass ich der Einfachheit halber bereits am selben Abend in den Spitalbetrieb eintrete. So steht einer zeitnahen Operation nichts im Wege, sollte ich mich entschliessen, diese auf der Insel durchzuführen und dafür nicht in die Schweiz zu fliegen.

Daniel steht bereits seit Dominica in permanentem Kontakt mit den Ärzten der Rega, die uns aus der Heimat sehr unterstützen. Ein Umstand der für uns sehr wichtig, hilfreich und beruhigend war. Dass unser Manuel bei dieser tollen Organisation als Einsatzleiter tätig ist, macht es irgendwie auch zu einer Familiensache. Fachlich hat das Spital einen ausgezeichneten Ruf, bescheinigt mir die Rega und daher fällt die Entscheidung zugunsten Martinique. Warten muss ich dann trotzdem bis am Freitagnachmittag, dann komme ich unter das Messer von Dr. Dudouit. Gegen Abend werde ich dann vom hochmodernen Operationstrakt wieder zurück auf die altertümliche Station gekarrt. Das erste was ich dort sehe, ist das geliebte Gesicht meines Mannes, der geduldig und 5 Stunden lang auf meine Rückkehr harrte.

Auch im Spital kann es umschlagen

Die nächsten Tage lerne ich allerdings die Kehrseite einer Klinik ausserhalb Europas kennen. Es ist definitiv kein jammern auf hohem Niveau, es sind nicht die immensen bürokratischen Hürden, nein es fehlen die elementarsten Basics, die jeder Patient erwarten kann. Ich habe 4 Tage gelernt, hilf Dir selbst, die meisten Krankenschwestern tun es nicht. Im Gegenteil, sie können ungehalten bis böse werden wenn Du etwas willst oder gar klingelst. Besonders nachts, das stört. Meine Bettnachbarin versuchte in ihrer Not aus dem Bett zu steigen, fiel fast hin und wurde danach elendig abgekanzelt. Und wohl undenkbar in einem Spital in der Schweiz, dass männliche Pfleger weibliche Patienten waschen, oder?

Mir wurde das operierte Bein halb eingegipst und mit elastischen Binden straff fixiert. Der viel zu enge Gips führte zu Druckstellen und grossen Schmerzen, an Schlaf war kaum zu denken. Schulterzucken und die lapidare Antwort, dass sie frühestens am Montag etwas machen können, treibt mir fast die Tränen in die Augen. Es ist doch erst Samstag. Daniel verschafft mir zwar mit Kissen und Mullbinden bestmögliche Entlastung und doch gehen die Schmerzen nie weg. Ich war immer überzeugt, dass wenn dieses Teil weg ist, dann sind es auch die Schmerzen. Und ich sollte Recht behalten!

Auch sonst ist einiges los auf dieser Station. Im Zimmer links von mir lag ein Mörder und zwei Zimmer rechts davon wurde eines seiner Opfer mit einer Schussverletzung behandelt. Das Polizeiaufgebot während dieser Zeit war enorm. Im Zimmer gegenüber lag ein jüngerer Patient, der uns stundenlang und ungeachtet ob Tag oder Nacht mit lauter Musik quälte. Obwohl sich auch die Ärzte über diese Berieselung ärgerten, etwas dagegen unternommen hat niemand. Und ein älterer, seniler Patient rief die ganze Nacht über wirres Zeugs und versuchte stoisch, seine Bettstatt zu zerlegen. Schlafen? Fremdwort.

Im Universitätsspital von Martinique

Austritt aus dem Spital

Am Sonntag eröffnet mir dann Dr. Rob, dass ich unter Umständen am Montag austreten kann. Die schönste Nachricht seit langem! Und tatsächlich, tags darauf wird mir ein Schlauch nach dem anderen aus dem Körper gezogen. Dani flitzt unterdessen wieselflink auf der Insel herum und sucht die verordneten Hilfsmittel zusammen. Kurz vor dem Mittag dann werde ich endlich von dem elenden Halbgips befreit und darf unter Anleitung einer kompetenten und sehr freundlichen Physiotherapeutin die ersten Schritte mithilfe von Krücken unternehmen. Ich fühle mich wie neugeboren. Und die Schmerzen verschwinden! Dr. Dudouit, der Operateur, kommt noch einmal vorbei und schärft mir ein weiteres Mal ein, dass ich die nächsten 45 Tage keinesfalls auftreten darf.

Ausgerüstet mit nicht endenden Verordnungen und Berichten sind wir bereit zum Auszug. Wir haben unterdessen auch eine Krankenschwester gefunden, welche die notwendige Wundpflege und Thromboseprävention übernimmt. Calvin, der freundliche Pfleger steckt mir nämlich die Visitenkarte seiner Frau Masseline zu. So unproblematisch kanns gehen! Um den nötigen Physiotherapeuten kümmern wir uns später.

Für die nächsten Tage checken wir im nahe gelegenen Hotel La Valmenière ein. Wieder ein Bett, das diesen Namen verdient. Herrlich! Masseline schaut jeden zweiten Tag vorbei und ist zufrieden mit der doch beträchtlichen Wunde und meinem Zustand. Dass ich keine Medikamente mehr brauche, findet auch sie toll. In Trois-Îllets haben wir unterdessen ein kleines Häuschen gefunden, ebenerdig und mit einer grossen Terrasse. Kurz vor Weihnachten werden wir dort einziehen und bis Ende Januar verweilen. Bemüht sein, dass die Fortschritte und die Erholung anhalten, damit es dann anschliessend nach der letzten Kontrolle im Spital wieder vorwärts geht mit unserer Reise.

Zurück ins Leben

Alles ist immer für etwas gut, heisst es. Für was, ist mir im konkreten Fall (noch) nicht klar. Aber dass es auch Licht hat, wo Schatten hinfällt, das bestimmt. Was mir an Hilfsbereitschaft in Roseau entgegengebracht wurde, ist alles – nur nicht selbstverständlich. Auch jetzt erkundigt sich Mr. Beanz immer wieder nach unserem Wohlergehen und freut sich bereits auf das Wiedersehen. Und auch auf Martinique lernen wir ganz liebenswürdige und hilfsbereite Menschen kennen. Das Glas ist definitiv halb voll und nicht halb leer.

In diesem Sinne wünschen wir Euch von Herzen Frohe und glückliche Festtage. Viel Liebe, Zufriedenheit und vor allem beste Gesundheit.

Weihnachtsdekoration auf VaireaNichtsahnend vor dem Middleham-Wasserfall

Universitätsspital Martinique

Unsere Reise im Überblick & Unsere Schatzkiste

4 Kommentare zu „So schnell kann es umschlagen“

  1. Brigitte Windbichler

    Auch euch Frohe Weihnachten ! Alles hat auch etwas Gutes! Wir haben in Panama gelernt! Baldige Besserung und ganz liebe Grüße von den Galapagos Inseln von der Crew der Alrisha

  2. Schön liest es sich nicht- gut geschrieben ist es dennoch!
    Uns bleibt da nur dir “gute Besserung” zu wünschen und euch beiden eine friedvolle Weihnacht und ein Gutes Neues Jahr. Das Alte, so scheint mir, darf zumindest was die zweite Jahreshälfte betrifft dann doch auch enden….
    Liebe Grüße
    Felix & Sandra

  3. Liebe Martina! Alles Gute für die weitere Heilung. Ich hoffe es geht gut voran! Lass dich von Deinem Mann verwöhnen. Ich habe soeben meinen OP Termin am 4.1. für die Arthroskopie (hoffentlich nur Meniskus) bekommen. Wir wünschen Euch trotzallem ein schönes Weihnachtsfest und ein GESUNDES 2019!! Liebe Grüße Ingrid und Wigbert

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