Zurück an der Ostküste der USA

Die letzten vier Wochen auf den Bahamas geht es mir nicht mehr gut. Wir vermuten einen wiederholten Bandscheibenvorfall im Genick, der mich mit Schmerzen und Unwohlsein plagt. Die Beschwerden nehmen nicht ab, die Verunsicherung dagegen nimmt Tag für Tag zu und ich werde immer dünnhäutiger und verzagter. Klarheit, um was es sich tatsächlich handelt und wie ich die Schmerzen behandeln kann, würde nur eine medizinische Abklärung bringen, doch die liegt meilenweit entfernt. Als wir nach langen zwei Wochen in der Einsamkeit endlich in West End auf Grand Bahama angekommen sind, nimmt sich Dr. Genuino vom Health Center meines Problems an. Auch sie tippt auf einen Bandscheibenvorfall und verschreibt mir eine Reihe von Medikamenten und Cremes, die zum Glück wunschgemäss wirken. Und mit dem Rückgang der Schmerzen steigt auch die Hoffnung, die Segeletappe bis an die Ostküste der USA zu packen.

Auf dem Weg an die Ostküste der USA

Wir sind uns einig, dass wenn Klinik dann in der Schweiz oder in den USA, nicht aber auf den Bahamas. Und so bin ich überhaupt nicht traurig, als wir am 5. Mai um halb vier Uhr in der Nacht den Anker heben, die Segel setzen und Kurs auf St. Augustine im Norden Floridas nehmen. 230 Seemeilen entlang der Ostküste der USA mit einem prognostizierten Leichtwind aus südlicher Richtung liegen vor uns. Für meinen tollen und tapferen Mann steht ausser Frage, dass ich mich auf dieser Etappe zu schonen habe und es mir verboten ist, Arbeiten zu verrichten. Kurz nach Sonnenuntergang dann erleben wir einen kurzen Schreckensmoment, als sich die Grossschot wegen eines gebrochenen Schäkels löst. Zum grossen Glück bleibt die Schot in der Rolle hängen und der Captain hat genügend Reservematerial an Bord. Ansonsten verläuft die Etappe ereignislos und für mich absolut erträglich.

Zurück an der Ostküste der USA

Um 14 Uhr am 6. Mai können wir Vairea dann nach 32 Stunden auf See an einer Mooring Boje bei der Ponce de Leon Brücke festmachen. Die Erleichterung darüber, an der Ostküste der USA angekommen zu sein ist riesig! Als erstes greift Daniel zum Telefon, das Einklarieren in den USA hat erste Priorität. Mit dem Ubertaxi fahren wir anschliessend zum Büro der CBP, das am Flughafen stationiert ist. Ein sehr freundlicher Officer holt uns am Gate ab und erledigt in Windeseile alle Formalitäten. Und schier unglaublich, aber dieser Beamte entschuldigt sich doch tatsächlich für den Vorfall damals am Flughafen von Miami, wir sind sehr beeindruckt.

Ponce de Leon bei St. Augustine an der Ostküste der USA

In Sichtdistanz zu uns ankert die Planet Mars, ebenfalls eine Lagoon 400 mit den beiden Kanadiern Rob und Dennis an Bord. Das verpasste Treffen auf den Exumas holen wir jetzt mit Freude auf unserem Boot nach. Da die Zwei die Hurrikan Saison ebenfalls in nördlichen Gefilden verbringen werden, steht einem wiederholten Treffen hoffentlich nichts im Weg. Daniel und ich geniessen täglich lange Spaziergänge durch die vielen verwinkelten Gässchen der Altstadt. Und stellen einen riesigen Unterschied zum vergangenen Dezember fest, als es manchmal kaum ein Durchkommen gab. Jetzt teilen wir das Vergnügen nur mit einem Bruchteil Touristen. Und endlich wieder die Supermärkte mit ihrem reichhaltigen Angebot an Gemüse und Früchte.

Rob und Dennis von der SY Planet Mars
Rob und Dennis von der SY Planet Mars

Die Schmerzen werden glücklicherweise weniger und der Griff zu den Medikamenten seltener. Und unterdessen ist auch der Termin für die genaue Abklärung im Spital in Zürich vereinbart. Somit lässt auch die Nervenanspannung nach. Alles in St. Augustine läuft rund und wir fühlen uns pudelwohl.

Zusammentreffen mit der SY Ventura

Richtig gross ist dann die Freude, als der deutsche Katamaran Ventura aus Fort Lauderdale heran rauscht. Endlich, strahlen wir, als wir Vier uns in die Arme fallen. Endlich treffen wir uns, das wurde aber auch Zeit. Mit Mellie, Frank und ihrem putzigen Bordhund Lotta verbringen wir einen schönen Abend nach dem anderen. Ich habe solche Begegnungen schmerzlich vermisst, bin so glücklich über dieses freundschaftliche Zusammensein und geniesse ausgiebig das Social Life.

Zusammen mit der Crew der Ventura
Zusammen mit Mellie, Frank und Lotta von der SY Ventura

Nach einer Woche Herrlichkeit, inklusive Captains ersehntem Steakhausbesuch, einem gefüllten Kühlschrank, frisch duftender Wäsche und voller Tatendrang wird’s dann Zeit weiterzuziehen. Zusammen mit der Ventura fahren wir unter der geöffneten Brücke hindurch Richtung Atlantik. Unsere Freunde biegen beim Inlet nach Jacksonville ab, während unser Ziel Saint Marys Inlet noch einige Meilen entfernt ist. Nach 9 Stunden auf See fällt dann aber auch unser Anker bei Cumberland Island in den schlammigen Untergrund. Der Kontrast auf der Grenze zwischen den Staaten Florida und Georgia könnte nicht grösser sein. Hier das Naturparadies Cumberland Island mit dem verwunschenen Zauberwald, den unberührten Sandstränden, den vielen Wildpferden und den Gürteltieren und gegenüber bei Fernandina Beach auf Amelia Island erheben sich die Papierfabriken mit ihren rauchenden Schloten.

Fernandina Beach

Fernandina Beach

Doch das Städtchen soll einen Besuch wert sein haben wir vernommen und so verholen wir uns anderntags vor den Ort. Schon bei der Anfahrt wird uns aber klar, hier werden wir nicht über Nacht bleiben, Lärm wie Gestank sind einfach zu gross. Der kleine Küstenort ist in der Tat hübsch, mit vielen sehr gepflegten, alten Häusern, unzähligen Boutiquen und einer grossen Anzahl von Restaurants. Wiederholt werden wir auch hier von diesen gefürchteten Gewitterzellen, einhergehend mit viel Regen und Wind geplagt. Als es dann endlich wieder schont, heben wir den Anker und fahren 12 Seemeilen auf dem Fluss hinauf nach Saint Marys.

St. Marys – beschauliche Ostküste der USA

Saint Marys

Da scheint die Zeit fast etwas stehengeblieben zu sein. Wohltuende Ruhe, viele freundliche Einwohner, alles blitzblank sauber und ein spannendes U-Bootmuseum begegnen uns auf unserem ausgedehnten Rundgang. Interessant auch, dass die Preise im Vergleich zu Fernandina Beach deutlich tiefer sind. Den 18. Mai verbringen wir noch einmal wandernd in der herrlich unberührten Natur auf Cumberland Island. Entgegen unserem letzten Besuch im vergangenen Dezember treffen wir trotz intensiver Suche leider kein einziges Gürteltier an, dafür stolpern wir dieses Mal fast über die Wildpferde. Auch Vögel und Rehe erspähen wir und leider scheinen die Mücken zu dieser Jahreszeit besonders scharf auf Schweizer Blut zu sein.

Cumberland Island

Nach einer herrlich ruhigen Nacht heben wir anderntags ganz früh den Anker. Auf gehts zur 161 Seemeilen langen Etappe entlang der Ostküste der USA nach Charleston. Was bin ich glücklich, dass es wieder für einen Besuch in dieser, meiner Lieblingsstadt passt. Nach einer flotten Fahrt fällt der Anker noch vor dem Mittag des 20. Mai hinter der Ventura ins Wasser. Das Wiedersehen mit unseren Freunden wird mit einer warmen Umarmung und einem eiskalten Bier gefeiert. Nach einer langen und erholsamen Nacht geniessen wir zu Viert einen ausgedehnten Bummel durch das französische und englische Quartier mit diesen wunderschönen, alten Villen, den lauschigen und grünen Hinterhöfen und den üppig bepflanzten Blumenampeln vor den Fenstern.

Charleston an der Ostküste der USA

So viel laufen macht Hunger und Abhilfe schafft ein ausgedehntes schlemmen durch die typische Südstaatenküche. Nach vier Tagen Genuss lockt ein passendes Wetterfenster für die Weiterfahrt Richtung Nord. Knapp 70 Seemeilen bis Georgetown stehen am 24. Mai auf dem Programm. Gerade noch rechtzeitig vor dem eindunkeln fällt der Anker vor dem hübschen Städtchen und hinter der Aventura in den schlammigen Untergrund. Georgetown hat unter anderem ein leckeres Sushi-Restaurant, wir vier Appetit darauf und die Schlemmerei der ganz frischen japanischen Köstlichkeit beginnt von Neuem.

Georgetown

Heute Abend eröffnet das „Between the Antlers“, dieses neue Restaurant direkt am Wasser, verrät uns die Besitzerin einer der vielen Boutiquen entlang der Front Street. Dann geniessen wir doch dort einen Drink zum Sonnenuntergang, beschliessen wir. Die Terrasse ist gerammelt voll, eine Livemusic unterhält die Gäste und unsere Bedienung steht auf Kriegsfuss mit dem elektronischen Gerät, in das sie ihre Bestellungen eintippen sollte. Geschlagene 45 Minuten und nach einem freundlichen Nachfragen später stellt sie uns dann die Getränke mit einer Entschuldigung hin. Aber ohje, die Getränke sind unisono ungeniessbar und so verlegen wir den Sundowner an Bord der Ventura, wo uns Frank einen exzellenten Frozen Margarita kredenzt. Merke, im Lokal besser Bier oder Wein bestellen, das klappt immer.

Georgetown

Der alte Kern rund um die Waterfront ist richtig hübsch und sehr gepflegt. Viele Kneipen, Bars, Restaurants und die in den Südstaaten so typischen, riesigen Trödlerläden. Und wie praktisch, dass die verschiedensten Supermärkte in Fussdistanz zu erreichen sind. Die rabenschwarze Wettervorhersage für den 27. Mai bewahrheitet sich leider, eine schwarze Front nach der anderen schiebt sich aus Süden heran. Und schon zucken die ersten grellen Blitze, gefolgt von ohrenbetäubendem Donnerschlag. Das Gewitter entlädt sich direkt über uns. Was an Elektronik grössentechnisch passt liegt im Ofen und ich mit zugekniffenen Augen in Daniels Armbeuge. Regen prasselt auf die Vairea, zum Glück frischt der Wind nicht auf. Weltuntergangsstimmung herrscht und das ausgerechnet heute, an Mellies Geburtstag. Petrus hat dann aber augenscheinlich Erbarmen und schickt das Unwetter weiter nordwärts. Wir schwingen uns sofort ins Dinghi und werden auf der Ventura mit einem unglaublich leckeren Shrimp Gericht und ganz frischem Fisch verwöhnt.

Frank & Mellie von der SY Ventura

Entlang der Ostküste der USA

Am Nachmittag verholen wir uns Alle 10 Seemeilen Richtung Inlet, denn am kommenden Morgen heisst es los, Beaufort ruft. Bereits um 5 Uhr werden wir ziemlich unsanft aus den süssen Träumen gerissen, unzählige kleine und grössere Fischerboote streben Richtung Atlantik und bescheren uns fiese Wellen. So fällt uns das Aufstehen sehr leicht und wir heben kurz danach den Anker, auf zur knapp 30 stündigen Fahrt Richtung Nord.

Ankerplatz in der Winyah Bay
Ankerplatz in der Winyah Bay

Den ersten Tag über wechseln die Winde und die Stärken immer wieder und wir sind mit dem Setzen und Wiedereinholen der verschiedenen Segelgarderobe gut beschäftigt. Die Sonne scheint vom stahlblauen Himmel und die Atlantikwellen sind wie immer eindrucksvoll hoch aber lang. Die Begeisterung ist riesig, als uns eine grosse Gruppe von Delphinen besucht. Und mir kommt’s fast vor, als würden die eleganten und pfeilschnellen Meeressäuger in den Bugwellen surfen. Kurz vor dem Sonnenuntergang passieren wir die Shoal vor Cape Fear und segeln in die leider mondlose Nacht hinein. Während der Captain tief und fest schläft geniesse ich kurz nach sechs Uhr einen dieser herrlichen und heiss ersehnten Sonnenaufgänge, die ich auf dem Wasser als fast majestätisch erlebe.

Nebel entlang der Ostküste der USA vor Beaufort

Nur kurze Zeit später ist die Herrlichkeit leider vorbei und anstelle dessen kommt unangenehmer See Nebel auf. Unheimlich wabert er innert Sekunden um Vairea und wir tasten uns praktisch im Blindflug mithilfe des Radars voran. Kurz vor Beaufort ist der Spuk dann glücklicherweise vorbei. Keine Sekunde zu früh, denn es ist Holiday Weekend und die ohnehin wasserverrückten Amerikaner sind an diesem Sonntag mit allem was einen Motor hat und sich bewegen lässt auf dem Wasser. Wie ein riesiger Schwarm Moskitos schiessen sie uns aus der kabbeligen Ausfahrt entgegen. Mit uns streben unzählige Fischerboote Morehead und Beaufort entgegen, es ist ein riesiges Tohuwabohu und erfordert unsere ganze Aufmerksamkeit.

Beaufort

Ankerplatz bei Beaufort

Kurz vor dem Ankerplatz bergen wir die Segel und lassen den Anker nach 27 Stunden ins bestbekannte Wasser direkt vor dem hübschen Küstenstädtchen an der Ostküste der USA plumpsen. Auch nach dem Tidenwechsel hält der Anker bombenfest und wir geniessen im Black Sheep mit Blick auf die Vairea eine dieser vorzüglichen Pizzen. Alles passt wieder so wundervoll, nur nicht die Wettervorhersage und unsere Wunschvorstellung bezüglich Verweildauer. Entweder wir segeln bereits übermorgen weiter rund Cape Hatteras in die Chesapeake Bay oder wir sitzen womöglich auf unbestimmte Zeit hier fest, fasst der Captain die Tatsachen zusammen. Was an und für sich kein Problem wäre, hätten wir nicht bereits einen Marina Platz und Flüge ab Norfolk gebucht. Und so wird es nichts mit trödeln und bereits anderntags steht das Wiedersehen mit unserer Freundin Dianne an.

Wiedersehen mit Dianne
Wiedersehen mit Dianne

Nach einem Willkommensbier im Finz Grill geniessen wir einen lustigen und schönen Abend im 34° Restaurant. Für einmal müssen wir nicht für längere Zeit Abschied von der aufgestellten Texanerin nehmen, treffen wir sie doch im Juli in der Schweiz wieder. In der Nacht erreicht auch die Crew der Ventura North Carolina und gemeinsam geniessen wir anderntags unseren Morgenkaffee und einen ausgedehnten Bummel durch den hübschen Ort. Kurz nach dem Mittag machen wir an der Tankstelle fest und füllen unsere zwei Tanks mit Diesel voll. Winken Mellie und Frank zu, die anderntags von hier aus zum Törn nach Norfolk starten werden, während wir uns ans Cape Lookout verlegen.

Cape Lookout

Ankerplatz in der Bucht von Cape Lookout
Ankerplatz in der Bucht von Cape Lookout

Noch eine Nacht in klarem Wasser inmitten ellenlanger, unberührter Sandstrände geniessen. Am 1. Juni, mit Beginn der Hurrikansaison heisst es dann um sechs Uhr in der Früh Anker auf, Segel setzen. Norfolk wir kommen. In alle Vorfreude beim lossegeln mischt sich Spannung und Nervosität, denn wir erwarten täglich die Ankunft unseres Enkelkindes. Unglaublich, es wird bereits das Dritte, aber das erste Baby der geliebten Tochter. Und so kann ich es fast nicht erwarten anzukommen, in den Flieger zu steigen und den neuen Erdenbürger in die Arme zu schliessen.

Im Mai 2022 auf dem Weg entlang der Ostküste der USA nach Beaufort

Unsere Reise im Überblick Unsere Schatzkiste

4 Kommentare zu „Zurück an der Ostküste der USA“

  1. Es freut mich, dass ihr beim 2.Mal St. Augustine so erlebt habt, wie wir nach dem Hurrikan 2016. Wir fanden das Städtchen ja ausgesprochen angenehm trotz der Schäden.
    Grüße von Vairea Nui zu Vairea
    Andrea und Maic zur Zeit in Waren/Müritz mit Vairea Nui

    1. Martina & Daniel

      Liebe Andrea und Maic, wir haben uns sehr über die positive Erfahrung beim wiederholten Besuch gefreut. Es war beinahe wie Tag und Nacht. Wir grüssen Euch herzlich nach Waren aus Norfolk und wünschen Euch und der Vairea Nui einen schönen Frühsommer.

    1. Wie schön, lieber Felix, dass Du uns virtuell begleitest. Und ganz herzlichen Dank für die guten Wünsche, es geht mir täglich immer besser und ich bin guten Mutes. Liebe Grüsse aus Norfolk, Virginia

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Nach oben scrollen