Kennst Du Dominica, fragt mich Andrea von der SY Akka. Diese naturbelassene Insel im Norden von Martinique? St. Vincent sei wie Dominica vor 20 Jahren fügt sie an. Sie muss es wissen, im Januar besuchten sie und ihr Mann die Insel für einige Zeit.
Nach einer ruhigen und schönen Überfahrt von St. Lucia realisiere ich kurz vor unserem Ziel Chateaubelair mit Schrecken, dass sich eine der von mir nur nachlässig über die Reeling gehängten, dicken Festmacher-Leine im Propeller des Steuerbordmotors verfangen hat und sich dieser darum nicht starten lässt. Was für ein Segen, dass ein Katamaran 2 Antriebe hat und aktuell wenig Wind herrscht.
Chateaubelair – Erster Kontakt mit St. Vincent
Ein junger Mann auf einem Kayak rudert wild mit den Händen, „I see your problem“, ruft er. Ja wir spüren es und nein, wir wollen nicht an eine Boje, wir werden hier ankern und dann zuerst die Leine frei schneiden. Natürlich übergeben wir Kenny auf Bitten hin unsere Tauchmaske und die Möglichkeit etwas zu verdienen und nach kurzer Zeit hat er ohne zu schneiden den Festmacher gelöst. Daniel fährt zum einklarieren an Land, wobei sich dieses Prozedere etwas umständlich gestaltet. Denn nur der Immigration-Officer ist zur Stelle, der Zollbeamte glänzt mit Abwesenheit. Perhaps tomorrow.
Verkäufer und Bettler am Ankerplatz
Ich bekomme derweilen die ersten Besuche auf dem Boot. Ein kleiner Junge, der mit einem Holzboot rausgepaddelt ist, bettelt um alles Mögliche. Klar bekommt er Wasser und Kekse, aber weder die Tauchmaske, noch die Segelhandschuhe oder die Taschenlampe. Und Geld gibt’s schon gar nicht. Meine Eltern sind sehr arm und haben kein Geld um mich zur Schule zu schicken, lamentiert er auf die Frage warum er um diese Zeit überhaupt hier und nicht in der Schule sei. Wobei die ganzen Phrasen sehr einstudiert wirken. Er zieht ab, dafür paddeln kurze Zeit später 2 Männer mit frischen Langusten zum Verkauf heran. Aber nur die Frau an Bord ist ihnen wohl nicht so geheuer. „Captain, Captain“ rufen sie ununterbrochen, ich sagte doch „it’s only me for the moment“. Und tschüss.
Etwas später ist der Captain wieder eingetroffen und die nächsten Stunden verbringen wir mit einkaufen. Jedem, der mit und auf allen möglichen „Gerätschaften“ zu uns herauspaddelt kaufen wir etwas ab. Je länger der Tag und das Homeshopping dauern, umso mehr breitet sich bei uns ein schaler Beigeschmack aus. Denn wir werden in einer sehr fordernden Art angebettelt. Nichts mit bitte oder ich hätte gerne, nein ich will und gib mir.
Auch im Ort wird gebettelt
Auch im Dorf begegnet uns diese Unart einige Male, leider besonders von Kindern. Etwas, dass Daniel richtig staubig macht und dass er unter keinen Umständen unterstützen wird. Ich habe einige Röcke mitgebracht, die ich zwei Frauen schenke. Die Kleider werden mir zwar mit strahlenden Gesichtern fast aus den Fingern gerissen und dass es kein Dankeschön gibt, überrascht mich nicht mehr. Aber die resolute Forderung einer der Beiden, bring mir Zucker, bringt mich dann doch etwas aus der Fassung. Wir beschliessen, Chateaubelair anderntags und unterdessen mit Einklarierungsstempel des Zolls wieder zu verlassen und weiter südlich zu segeln. Eine fast komplett unverbaute Landschaft begleitet uns knappe 10 Meilen bis zu unserem Ziel. Bei Rosi und Orlando haben wir telefonisch eine Boje reserviert. Ihr Rockside Café liegt in der Keartons Bay, einen Einschnitt nach der bekannten und berüchtigten Wallilabou-Bucht.
Keartons Bay
Weist bitte alle Boatboys draussen ab, die euch beim festmachen helfen wollen, wir haben hier unseren Squinn der hilft, sagt uns Rosi am Telefon. Entgegen Chateaubelair verfügten die Boatboys hier über motorisierte Boote und natürlich wollen sie uns in die Wallilabou-Bay lotsen. Zwar etwas enttäuscht aber ohne murren drehen sie aber wieder ab. Keartons Bay ist klein, ruhig, für Einrümpfer wohl etwas rollig aber so richtig hübsch. Squinn und sein Kollege helfen fleissig beim Festmachen und rudern uns anschliessend mit ihrem Bötchen an Land. Die freundliche Rosi, eine Deutsche die vor mehreren Jahren nach Vinci ausgewandert ist, versorgt uns mit ersten Informationen und Tips zur Insel.
Wallilabou Bay
Zu Fuss laufen wir über den Hügel in die Wallilabou-Bucht. Bekannt wurde diese durch den Film „Pirates of the Caribbean“ mit Jonny Depp und berüchtigt ist sie, seit vor ein paar Jahren ein deutscher Segler erschossen wurde. Für uns ist sie vor allem Eines, eine echte Enttäuschung. Düster, schmutzig und schäbig attestieren wir. Kein Platz zum gerne Bleiben.
Auf dem Heimweg kommen wir im Dorf oberhalb Keartons Bay direkt am Strassenrand bei einem Grillplatz vorbei. Unsere Mägen knurren, auf dem Rost brutzeln Pouletbeine und auf einem klapprigen Beistelltischchen stehen verschiedene Kochtöpfe. Klar könne man bei ihr Essen kaufen, strahlt die Lady und füllt uns zwei Schalen mit Köstlichkeiten. Mampfend schauen wir einer Runde Männer zu, die Domino spielen. Sie lachen, witzeln und füllen dabei immer wieder ihre Becher mit Cola und Rum auf. Wer verliert muss aufstehen, sich den Spot der Mitspieler anhören und eine Runde aussetzen erklären sie uns auf unsere Nachfrage lachend. Obwohl wir ihren Dialekt nicht verstehen ist die fröhliche und ausgelassene Stimmung sehr ansteckend und wir lachen herzlich mit.
Dinner bei Orlando und Rosi
Um halb sieben holt uns der umtriebige Squinn wieder von der Vairea ab, wir gehen zu Rosi und Orlando Abendessen. Mit am Tisch sitzen Brita und Franz-Ferdinand von der SY Brita, auch die Beiden lagen zur selben Zeit wie wir in Tazacorte und befinden sich auf einer Nordatlantikrunde. Orlando und seine Cousine verwöhnen uns mit einem ausgezeichneten und üppigen Fischmenue und wir sinken ein paar Stunden später pappsatt in die Kissen.
Uns packt grosse Lust, mehr von dieser Insel zu sehen und Rosi empfiehlt uns dafür Gerry, einen coolen Rastamann aus dem benachbarten Barrouallie. Er besitzt Farmland im Norden der Insel, ist ein begeisterter Gemüse- und Früchteanbauer und Selbstversorger.
Gerry führt uns über die Insel
Mit seinem enormen Wissen über die einheimische Flora und Fauna kann er uns richtig begeistern. Jetzt weiss ich, dass in St. Vincent doch tatsächlich 52 verschiedene Mango- und 10 verschiedene Bananensorten wachsen!! Entlang des „Highway“ fahren wir zuerst etwas südlich, bis wir kurz nach Layou dem Wegweiser „Vermont Nature Trail“ folgen. Gerry biegt kurz von der Strasse ab und hält an. Wisst ihr, was an diesen Bäumen wächst? Muskatnüsse sind es, die teilweise auf dem Boden herumliegen. Man darf sich einfach bedienen. Alles an der Nuss wird verwendet, lerne ich. Die dünne, rötliche Haut welche die Nuss netzartig umschliesst kommt in Süssspeisen zur Anwendung und mit einer halbierten Muskatnuss kann man den Rumpunsch „aufpeppen“.
Vermont National Trail
Im Park des „Vermont National Trail“ leben streng geschützt noch ungefähr 500 Papageien, das Nationaltier von St. Vincent. Der Park ist durch eine Wasserscheide zweigeteilt, ein Teil ist aufgeforstete Plantage und der andere Teil ist primärer Regenwald. Für mich einfach ein Zauberwald! Da stehe ich neben Riesenbäumen, mit Lianen die bis fast zum Boden reichen und deren Wurzeln fast so hoch sind wie ich. Durch das Naturreservat führt ein Fluss Trinkwasser, was für die Bevölkerung und für die Landwirtschaft von St. Vincent sehr wichtig ist. Knappe 2 Stunden laufen wir hinauf und hinab durch einen grünen Kessel mit den verschiedensten Bäumen und Pflanzen, hören immer wieder den unverwechselbaren Ruf der Papageien, können sie aber aufgrund des dichten Blätterdaches leider nicht sehen.
Etwas oberhalb von Kingstown, der Hauptstadt von St. Vincent liegt der älteste botanische Garten der westlichen Hemisphäre. Die Anlage hat nach dem Regenwald einen schweren Stand. Doch der Guide versteht es mit seiner spassigen Art ausgezeichnet, dass uns nicht langweilig wird. Und mit der Information, dass es männliche und weibliche Knoblauchsträuche gibt, habe ich wieder etwas gelernt.
Kingstown – Hauptstadt von St. Vincent
In Kingstown geht Daniel als Erstes auf Rumsuche. Das Objekt seiner Begierde heisst „Sunset“, wird auf der Insel gebrannt und hat stolze 84,5 Alkoholprozente. Da wird man bestimmt nur vom dran Riechen besoffen, befürchte ich. Klar muss auch eine Flasche Captain Bligh mit in die Tüte, der war ja schliesslich auch auf der Insel, doziert mein Mann.
Nun gut, nach so viel Alkohol aber etwas für den knurrenden Magen, schlage ich vor. Gerry führt uns um 3 Ecken in ein unscheinbares Restaurant und scheucht uns dort die Treppe hinauf. Auf einer Terrasse und mit Meersicht geniessen wir ein ausgezeichnetes Roti. Für dieses traditionelle Gericht werden Fleisch- und Kartoffelstücke in einer pikanten Sauce in einen Blätterteig gewickelt. Dazu kosten wir das Nationalgetränk, ein Gingerbier. Der Betrag, den wir für den leckeren Lunch bezahlen müssen ist fast lächerlich. Nach einem Rundgang durch diese lebendige, laute und sehr fröhliche Stadt, über der wie an vielen Ecken der Insel der süssliche Duft von Marihuana liegt, geht’s langsam wieder Richtung Keartons Bay.
Der Ruf von St. Vincent ist schlecht. Zu unrecht!
Sag mal Gerry, fragen wir unseren Guide bei der Heimfahrt, im Internet liest man so viel über St. Vincent und vor allem wie gefährlich diese Insel für Segler ist. Wir haben aber so einen komplett anderen Eindruck bekommen und fühlten uns keinen Moment lang unwohl oder gar bedroht. Wie kann das sein? Klar kann er uns nicht mit Sicherheit sagen, warum Vinci einen dermassen schlechten Ruf hat, liegt doch St. Lucia in der Verbrecher-Statistik vor St. Vincent. Es gab einen bedauernswerten Todesfall, erzählt er, aber da waren nebst dem Segler ein Schnellboot und Marihuana involviert…. Es sei bedauerlich, meint er, dass aufgrund dieses einen und immer wieder aufgewärmten Falles so wenige Segler diese schöne Insel mit den atemberaubenden Naturschönheiten und den freundlichen Leuten besuchen. Dem ist unsererseits nichts mehr hinzuzufügen.
Mit einem Sack Tomaten, einem Bund Bananen als Geschenk und der Versicherung bei ihm immer willkommen zu sein, verabschiedet sich Gerry von uns. Anderntags sagen wir der schönen Kearton Bay mit seinen fröhlichen und hochanständigen Menschen Adieu und lösen uns von der Mooring um für die letzten zwei Nächte auf Vinci in den Süden zu wechseln.
Blue Lagoon – Der Süden von St. Vincent
In der Blue Lagoon Bucht picken wir eine Boje der ortsansässigen Marina und geniessen die Ruhe auf der Vairea, für einmal ohne Homeshopping. Kurz bevor man zur Blue Lagoon einbiegt, muss Duvernette Islet passiert werden, ein eiförmiger Felsen mit den letzten Überresten von Fort Duvernette auf der Spitze. Der Felsen kann besucht werden, Schweizer muss man zu so etwas nicht zweimal bitten und so wir brausen wir mit unserem Dinghi über die anrollenden Wellen hinaus zur Besteigung dieser Sehenswürdigkeit. 225 Treppen erklimmen wir und werden am Ende mit einem atemberaubenden Rundumblick belohnt, auf der einen Seite geht der Blick zur Blue Lagoon, gegenüber Young Island mit dem Luxusresort sowie zu unserem nächsten Ziel, der Insel Bequia.
Am Nachmittag spazieren wir auf den gegenüberliegenden Hügel und betrachten die riesigen und teilweise sehr protzigen Villen mit den dazugehörenden grossen Grundstücken. Der Unterschied von Nord zu Süd ist eklatant und in einem Land, wo der überwiegende Teil der Bevölkerung bitterarm ist, stimmt dieser Gegensatz nachdenklich. Nur wird uns bestimmt nicht dieses Bild in Erinnerung bleiben wenn wir an St. Vincent denken, sondern die unglaublichen Naturschönheiten, die diese Insel bietet mit ihren freundlichen und hilfsbereiten Einwohnern.