Stürmisch in eine ungeplante Nachtfahrt

Alle Stempel und Bewilligungen für die Ausreise sind eingeholt und mit einem dicken Papierwusch für Klein Curaçao und Bonaire heben wir um kurz nach 11 Uhr den Anker in Spanish Waters. Für die knapp 25 Seemeilen lange Fahrt zum südöstlich gelegenen Eiland Klein Curaçao prognostiziert die Wettervorhersage 12 Knoten Wind aus östlicher Richtung. Nicht berauschend, aber auch keine Katastrophe. Nur in Tat und Wahrheit kommt es wieder einmal völlig anders. Denn mit bis zu 27 Knoten direkt auf die Nase nervt uns der Wind. Selbstverständlich kommen auch die unangenehmen Wellen gegenan. Und die Strömung bremst uns auch noch mit über einem Knoten. Dazu rauscht ein Squall nach dem anderen über uns hinweg und beschert uns so eine richtig nasse, unangenehme Fahrt.

Vor Anker in Klein Curaçao

Kurz vor Klein Curaçao ist der Spuk dann endlich vorbei und wir freuen uns auf einen schönen Abend und eine ebensolche Nacht. Hinter den vielen Ausflugsbooten werfen wir unseren Anker in sicherem Abstand zum Ufer ins türkisfarbene Wasser. Gegen 16 Uhr lösen sich die zahlreichen Ausflugsboote von den Mooringbojen und ab 17 Uhr gehört die Insel uns ganz alleine. So in etwa haben wir uns das vorgestellt, frohlocken wir. Mit einem Bad im kristallklaren Wasser und einem feinen Nachtessen lassen wir den Tag ausklingen. Es bläst ein leichter Wind aus Osten, als wir uns kurz vor 20 Uhr und bei stockdunkler Nacht auf den Weg ins Bett machen. Morgen früh gleich bei Sonnenaufgang soll es ja weiter nach Bonaire gehen.

Friedliches Klein Curaçao

Stürmischer Abend in Klein Curaçao

Da jagt wie aus dem Nichts ein Windstoss unsere Luke auf und von eben auf gleich ist das Unwetter da. Völlig verdutzt schiessen wir beide an Deck und werden fast fortgeweht. Mit über 30 Knoten rast der Wind über die völlig ungeschützte Insel hinweg. Und wie wenn das nicht genug wäre, kommt es zu einem dieser so gefürchteten Reversal. Mit unverminderter Stärke bläst der Wind jetzt aus der gegengesetzten Richtung. Und wir stehen mit einem Schlag plötzlich ganz nah am Ufer. Viel zu nahe, stellen wir beim Blick auf die Instrumente besorgt fest. Zudem sieht ja nachts Alles noch viel näher und unheimlicher aus. Uns ist klar, wir müssen hier weg und zwar so schnell wie möglich. Nicht dass wir womöglich noch auflaufen!

Man weiss ja vorher nie, wie man in einer Extremsituation reagiert, sollte sie denn eintreten. Es bleibt nur die Hoffnung. Hoffnung, alles richtig zu machen, nichts zu vergessen und bitte ohne Panik. Das waren immer meine Wünsche. Und die wurden erfüllt, ausnahmslos. Denn bei uns klappt in dieser Nacht glücklicherweise einfach Alles. Jeder weiss genau was zu tun ist, alle Handgriffe sitzen. Rückblickend werde ich für viele Dinge sehr dankbar sein! Eines davon ist, dass wir im Besitz von Headsets sind. Ohne diese hilfreichen Teile wäre eine klare Kommunikation schlicht unmöglich gewesen.

Und so warte ich an den Motoren auf die exakten Anweisungen meines Captains. Und die kommen und wie! Genau und zackig knallen sie an mein Ohr. Ich habe definitiv noch nie so sehr mit den beiden Motoren gearbeitet. Ich weiss nicht, wer mehr heult, die Motoren oder der Wind. Im Schein der Taschenlampe und nur spärlich bekleidet, versucht Daniel derweilen im strömenden Regen so schnell wie möglich den Anker hochzubekommen.

Anker auf

Dabei darf er auf keinen Fall die vielen Mooring Bojen rund um Vairea aus den Augen verlieren. Denn jetzt ein Seil in den Motor zu bekommen? Ich will gar nicht an die Folgen denken. Unglaublich, wie bravourös, ruhig und abgeklärt er das alles schafft. Und immer wieder kommt die Frage nach der Wassertiefe. Die lasse ich während den ganzen Manövern nie aus den Augen. Noch 80, 70, 60cm vermelde ich. Als auf der Anzeige noch 30 cm unter dem Kiel aufleuchten, vergesse ich fast zu atmen. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit kommt der erlösende Befehl „jawohl, gib vollen Schub, mit beiden Motoren Vollgas vorwärts“.

Es ist geschafft! Wir und Vairea haben es geschafft, entfernen uns immer schneller vom Ufer und sind dann endlich im tiefen, sicheren Wasser. Im Schein der Taschenlampe versucht Daniel die Rümpfe auf eventuelle Schäden abzusuchen. Hat doch die Kette ein paar Mal ganz heftig angeschlagen. Doch glücklicherweise scheint Alles gut gegangen zu sein. Jetzt in Sicherheit schlägt mein Herz wieder etwas langsamer und auch die Adrenalinschübe lassen allmählich nach. Wir nehmen uns gegenseitig in die Arme und beglückwünschen uns zum Happy End. Was sind wir dankbar, dass keiner in Panik geriet und Jeder sich diskussionslos auf den Anderen verlassen konnte sagen wir zueinander. Und dankbar vor allem, dass alles Technische einwandfrei funktionierte. Zusammen mit der Vairea sind wir ein starkes Team.

Ungeplante Nachtfahrt nach Bonaire

Das Wichtigste ist geschafft, aber wie jetzt weiter? Wieder gefangen und mit beruhigten Nerven diskutieren wir die Möglichkeiten. Entweder gehen wir zurück nach Curaçao, versuchen es noch einmal bei Klein Curaçao oder aber vorwärts nach Bonaire. Ein Blick in die Wettervorhersage hilft uns bei der Entscheidung. In der Hoffnung darauf, dass uns die Nacht wirklich nur wenig Wind und Wellen beschert, entscheiden wir uns für den Weg nach Bonaire. Für die 25 Seemeilen Strecke verbleiben uns 10 Stunden bis die Sonne aufgeht. Wir rechnen nach, bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 3 Knoten sollte das eigentlich gut aufgehen.

Bonaire im ersten Büchsenlicht

Zu Beginn klappt‘s gar nicht, denn da schiebt uns dieser abenteuerliche Wind aus südwestlicher Richtung ohne Segel und Motor mit fast 5 Knoten dem Ziel entgegen. Doch um kurz vor 23 Uhr ist dann auch dieser Spuk vorbei. Und wir legen tatsächlich eine Punktlandung hin. Denn um genau 6.30 Uhr fahren wir bei einem herrlichen Sonnenaufgang in die grosse Bucht bei Kralendijk ein. Todmüde, gerädert aber unglaublich glücklich und dankbar. Und wann hatten wir jemals 11 Stunden für 25 Seemeilen, fragen wir uns? Wie der Reversal ist das nach bald 6 Jahren Unterwegssein mit der Vairea ein Novum für uns.

Vor Kralendijk an einer Mooring

Klein Curaçao im November 2020

Unsere Reise im Überblick & Unsere Schatzkiste

2 Kommentare zu „Stürmisch in eine ungeplante Nachtfahrt“

  1. Hallo ihr Lieben
    Das mit dem Auflaufen kommt uns irgendwie bekannt vor, hatten wir auf dem Bodensee sicher auch zweimal erlebt dass wir fast am Ufer gelandet wären.
    Gottseidank nicht auf hohem Gewässer und Segelboot.
    Da kann ich euch von ganzen Herzen nachfühlen ❣️
    Ich bin froh dass alles gut gegangen ist bei euch und sende liebe Grüsse aus der kalten Schweiz
    Graziella

    1. Hallo ihr Lieben, eine Situation die man sich definitiv nicht wünscht – weder auf dem See noch auf dem Meer. Danke Dir herzlich für Deine Anteilnahme. Karibische Grüsse zu Euch in die kühle Schweiz von Euren Freunden

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