„Klar zur Wende?“ ruft mir Daniel zu. „Klar“ bestätige ich. Und schon wieder rauschen die Schoten, ich kurble an der Winsch und wir segeln eben die zehnte Wende. Die Sonne strahlt vom blauen Himmel und der Wind bläst mit maximal 18 Knoten. Aufkreuzen kann so viel Spass machen wie eben jetzt, an diesem 15. September auf dem Weg von Annapolis nach St. Michaels. Nach etwas mehr als 7 Stunden liegt der Ort vor uns.
Unmittelbar nach dem Segelbergen und dem Ankermanöver in der fast leeren Bucht macht es klick bei mir. Ich kann Dir zwar nicht sagen warum, aber hier gefällt‘s mir sage ich zu Daniel. Ich habe eher den Eindruck, in Grossbritannien zu sein, antwortet er. Recht hat er, denn entlang der Bucht flattern neben den amerikanischen fast genauso viele britische Flaggen im Wind und von der nahe gelegenen Kirche erklingt ein Geläut ähnlich wie dem von Big Ben in London.
Wir werden bei einem unserer Spaziergänge auch gar spannendes britannisches über diesen Ort erfahren. Zum Beispiel dass die Episkopalkirche 1677 als erstes Gebäude am Ufer des Miles River errichtet wurde und nach dem Erzengel Michael genannt wurde und der Stadt ihren Namen gab. Oder dass sich 1813 britische Schiffe von See her näherten, mit dem Ziel, St. Michael zu bombardieren. Aber sie hatten die Rechnung ohne die schlauen Einwohner gemacht. Denn die löschten geistesgegenwärtig alle Lichter und hängten ausserhalb des Ortes Laternen in die Bäume. Die Briten liessen sich tatsächlich täuschen, schossen in Richtung der Lichter und St. Michael wurde fast ganz verschont. Nur das als Cannonball House bekannte Gebäude wurde leicht beschädigt. Seit damals nimmt St. Michaels für sich in Anspruch, der Erfinder der Verdunkelung zu sein und „The town that fooled the British“ lautet sinnigerweise der Spitzname der Stadt.
St. Michaels
Wir flanieren entlang der Talbot Street, wo sich ein hübsches Haus an das nächste schöne Gebäude schmiegt. Hier findet man alles was das Herz begehrt, unzählige Restaurants, einen kleinen Lebensmittelladen, zahlreiche Boutiquen, Gelaterias, Galerien und sogar einen waschechten Saloon. In diesem geniessen wir stilecht an der Bar eines der besten je aufgetischten Omeletts und ein schmackhaftes mit Kümmel gespicktes Brot. Satt und zufrieden kommen wir in einem der hübschen Läden mit der freundlichen Besitzerin ins Gespräch. Wie immer, wenn wir auf unser Seglerleben angesprochen werden, dauert es etwas länger und das ist an diesem Morgen nicht anders.
Doch dass wir fast nicht mehr fortkommen, hat im Preppy Redneck noch einen ganz anderen und vor allem einen mehr als süssen Grund! Die liebenswürdige Inhaberin hütet nämlich die zwei Hundebabys ihrer Eltern und ehe wir uns versehen, hat sie jedem von uns die zwei Doggen-Babys in die Arme gedrückt. Während sich „mein“ Hündchen windet und ihm wohl mehr der Sinn nach spielen ist, schmiegt sich das schwarze Fellbündel mit treuherzigem Blick und völlig ergeben in Captains Arme. Und mein Mann schmilzt vor Entzücken und mit seligem Blick fast dahin wie ein Schweizer Chäsli. Schwer zu sagen, wer von beiden mehr verliebt ist. Vermutlich ich, als ich die Beiden so einträchtig sehe! Und St. Michaels bekommt von mir glatt weitere 100 Punkte in der Beliebtheitsskala.
Oxford
Nachdem wir uns schon an unserem Hochzeitstag auf die Fahrradsättel schwangen, wiederholen wir das an meinem Geburtstag grad noch einmal. Allerdings stellt uns der freundliche, lokale Vermieter am 18. September zwei richtige Deluxe-Drahtesel vor die Nase. Kein Vergleich zu diesen 0-Gang Bikes von Rock Hall und so fliegen wir mit den 24 Gängen fast nach Bellevue. Dort am Ufer des Tred Avon River klappt Dani wie gewünscht das Holzschild um. Dies dient dem Fährmann als sichtbares Zeichen, dass Passagiere auf die andere Seite des Flusses befördert werden möchten. Und schon rauscht sie heran, diese kleine und älteste privat betriebene Fähre der USA.
Auf der Fahrt hinüber nach Oxford fällt wieder einmal unser „special accent“ auf. Fragen an uns nach dem woher, wohin und warum gelten nicht als neugierig sondern gehören hier einfach dazu und so wird es eine sehr unterhaltsame und lustige Überfahrt. Zumal der Fährimann passionierter Segler ist, aus St. Michaels stammt und uns bei unserer Ankunft beobachtet hat. Und seine Restaurant-Empfehlung war perfekt, wie wir ihm auf der Rückfahrt bestätigen können. Oxford haben wir schnell gesehen, denn der Ort hat im Gegensatz zu St. Michaels keinen eigentlichen Dorfkern sondern erinnert eher an eine lang gezogene Streusiedlung.
Hoch am Wind weiter südwärts
Wie schon auf dem Hinweg erfreuen wir uns auch auf dem Heimweg von Bellevue nach St. Michaels an der sehr ländlichen Landschaft mit den liebevoll gepflegten Häusern und beeindruckenden Farmen. Vor allem sticht uns die Sauberkeit ins Auge, alles wirkt wie für einen speziellen Anlass herausgeputzt. Den Abend lassen wir dieses Mal ohne schmerzende Popos im Theo‘s bei einem leckeren Chateau Briand ausklingen. Also ich hätte es hier problemlos noch einige Tage länger ausgehalten, sinniere ich beim letzten Spaziergang durch den schmucken Ort fast etwas wehmütig. Denn hier stimmte einfach Alles vom ersten bis zum letzten Eindruck. Aber wir müssen und wollen langsam weiter, die Werft in Deltaville wartet auf unsere Vairea.
„Klar zur Wende“, ruft Daniel am Morgen des 19. September. „Klar“ bestätige ich. Und wie schon auf der Hinfahrt rauschen auch jetzt wieder die Schoten und in schier endlosen Wenden kreuzen wir hoch am Wind und bei prächtigem Wetter vom Miles River zurück in die Chesapeake Bay Richtung Herrington Bay, unserem nächsten Ziel.
So lässig! Ich war wieder voll dabei und konnte den interessanten Ort richtig riechen. Dieser Geburtstag wird dir sicher lange in Erinnerung bleiben, und die herzigen Wuffis auch.
Weiterhin eine gute Zeit und viele schöne Momente!!!
Deine Freundin
Zum Glück tat mir der Popo nicht so weh, wie beim letzten Velo. Und ja, der Welpe war zum hinknien. Wir freuen uns schon sehr auf das baldige Knuddeln von Euren zwei geliebten Fellknäueln. Seid alle herzlich gegrüsst von Eurer Freundin