Etappenziel

Ich bin jetzt auf den Kanaren! Ganz ehrlich, an diese Tatsache muss ich mich erst noch gewöhnen, es mir immer wieder laut vorsagen und die Worte auf der Zunge zergehen lassen. Oder mich in den Arm kneifen, um sicher zu sein, dass ich nicht alles nur träume. Die Kanaren waren immer ein zentraler Ort, das Anlanden auf diesen Inseln ein erklärtes Etappenziel. Sie wurden für mich unterdessen aber auch zum Inbegriff, wie Theorie und Praxis komplett verschieden sein können. Theoretisch wären wir ja bereits Ende 2015 hier gelandet, aber es kam so vieles dazwischen. Trauriges wie der kurzaufeinanderfolgende Tod meiner Eltern aber auch Erfreuliches wie das Entdecken und Bereisen des einmaligen Portugals und seiner liebgewonnen Bewohner. Die Langsamkeit und die Intensität, mit der wir unterwegs sind, behagt uns Beiden ungemein. Die Erkenntnis, dass wir gar nicht so rasen müssen, wie es der ursprüngliche Plan vorsah, war eine der aufschlussreichsten und besten Erfahrungen. Unterdessen spüren WIR, wenn die Zeit reif für einen Wechsel oder ein Weitergehen ist, nicht irgendein Plan oder eine Vorgabe uns dazu zwingt. Und doch blieb es immer bei den Kanaren, irgendwann dann oder eben genau jetzt.

Madeira achteraus

Das gute Wetterfenster kam nach sechs Wochen intensiven Erlebens in Porto Santo, auf der Ilha Deserta und Madeira genau richtig und wir nahmen die Chance zum Weitersegeln gerne an. Für unser erstes Ziel auf den kanarischen Inseln, den Ankerplatz Playa Francesca auf La Graciosa, einem Naturschutzgebiet, muss vorgängig eine Ankererlaubnis eingeholt werden, die online beantragt werden kann und einem zugemailt wird. Wieder ging‘s ans Eingemachte, zum einen umräumen sowie vorkochen und anderseits die Routen- und Zeitplanung. Vorzugsweise kommt man an einem neuen, unbekannten Ort bei Tageslicht an, etwas das wir interessanterweise bisher nie schafften. Diesmal sollte es klappen und nach allen Berechnungen setzten wir den Abfahrtstermin auf den Nachmittag des 8. Juni fest. Im langsamsten Fall benötigen wir 48 ½ Stunden, sind wir sehr schnell schaffen wir es in 44 ½ Stunden, meint Daniel, also wird es so oder so noch- oder schon wieder hell sein. Endlich einmal, ich freu mich! Und dann sagen wir dem Ankerplatz Baia d’Abra, Madeira und Portugal Lebwohl, setzen das Grosssegel im ersten Reff und baumen die Genua aus. Die ersten 40 der 267 Seemeilen langen Strecke erleben wir richtige Traumbedingungen.

Ilhas Desertas

Der Wind bläst konstant mit 15 bis 20 Knoten von hinten, eine kleine Welle ist mitlaufend und die Sonne strahlt vom tiefblauen Himmel. Als uns dann noch eine mindestens 50-köpfige Delphinschule besucht und einen Teil unseres Weges mitzieht, scheint das Glück perfekt. Ätsch, zu früh gefreut. Woher kommt dieser unangenehm hohe Schwell und wer hat den eingeladen? Leider verabschiedet sich dieser ungebetene Gast auch nicht, er wird uns – das sei schon verraten – bis zu unserem Ziel an den Füssen, respektive den Rümpfen kleben. Mir ist Schwell, ganz besonders wenn er wie jetzt von der Seite oder von schräg vorne kommt, höchst zuwider. Er verursacht öfters Unwohlsein oder sogar Übelkeit, etwas dass wir so gar nicht brauchen können. Ich bin da sehr pragmatisch und werfe mir beim ersten Anflug von Übelkeit eine Tablette ein. Daniel steht dem eher kritisch gegenüber und verzichtet darauf. Vairea hingegen ist immun gegen solche Wetterkapriolen und jagt wie ein junges Fohlen dem Ziel entgegen. Das erste Tagesetmal liegt bei 164 Seemeilen! Was für ein Höllentempo! Wir spüren die unangenehme Schauklerei mit jeder Faser unseres Körpers und haben alle Aktivitäten heruntergefahren. Schlafen, liegen, bequem sitzen, viel trinken und regelmässig essen, lautet die Maxime. Dann, am frühen Abend des zweiten Tages, erwischt es Daniel. Die fiese Seekrankheit hat unbarmherzig zugeschlagen. Ich leide wie ein Hund mit meinem geliebten Capitano, weiss ich doch aus x-facher, eigener Erfahrung, wie fies diese Geissel ist. Zum Glück sind die Bedingungen bis auf den Schwell weiterhin so gut, dass weder an der Segelstellung etwas geändert werden muss, noch drängt sich sonst ein nötiges Manöver auf. Uff, Glück im Unglück. Was mir etwas Sorgen bereitet, ist die voraussichtliche Ankunftszeit auf La Graciosa, die variiert nämlich zwischen 03.00 und 04.00 Uhr, natürlich in der Nacht!! Zum Glück ist Vollmond, der wird sich doch wohl nicht ausgerechnet heute hinter den Wolken verstecken? Natürlich wird er, auch das sei verraten. Aber dieses Szenario kennen wir ja zu gut und so hilft nach dem Segelbergen auch jetzt nur ganz vorsichtiges vortasten an die Ankerbucht, mit gedrosseltem Tempo Meter um Meter vorwärts, Augen auf und immer auf vor Anker liegende Schiffe, Untiefen oder Steine achtend. Kurz nach 5 Uhr dann plumpst der Anker in den sandigen Untergrund, zum Glück klappt alles perfekt und gleich beim ersten Mal. Kurz nur das Allernötigste zusammenräumen, den Ankeralarm aktivieren und dann nichts wie ab ins Bett. Ganz ehrlich, das sind die aller-allerschönsten Zubettgeh-Momente! Wir haben die 267 Seemeilen in 38 Stunden geschafft, das heisst wir segelten mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 7 Knoten (etwas mehr als 12 Km/h) und die Höchstgeschwindigkeit lag bei stolzen 10,2 Knoten.

Es ist immer spannend, die neue Umgebung zum ersten Mal bei Tageslicht zu sehen und ob wir den bei Dunkelheit gewählten Ankerplatz auch bei Tageslicht ausgesucht hätten. Beides stimmt hier in der Playa Francesca und so glauben wir, den heutigen Tag mit viel Erholung und relaxen verbringen zu können. Das klappt genau so lange, bis ein eigenartiges Geräusch im Wassermacher meinen wieder halbwegs genesenen Capitano zur schnellen Fehlerursachenfindung zwingt. Wer hat eigentlich gesagt, dass wir ein schönes, entspanntes Leben führen?? 🙂

4 Kommentare zu „Etappenziel“

  1. Das klingt ja Richter AbenteuerlichTolle Geschichte ich war richtig dabei, Gottseidank wurde ich nicht SeekrankAlso weiter so bis zum nächsten Ziel

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