«Momentan ist so weit weg von Europa wie möglich vermutlich das Beste», schreibt uns ein Kollege zu unserem letzten Blog und spricht wohl diesen unsäglichen Krieg an, der aktuell in der Ukraine tobt. Vermutlich beschäftigen dieser Gräuel und das Entsetzen jeden Europäer, egal wo man sich aufhält. So auch uns hier auf den Abacos. Der Unterschied ist wahrscheinlich, dass die Menschen Zuhause diesem Krieg so nah sind, ein Umstand der Angst und Beklemmnis auslöst. Wobei, jeder Krieg, wo auch immer er stattfindet, empfinde ich als eine Katastrophe und eine komplette Bankrotterklärung. Er bringt dermassen viel Leid und Entsetzen und entbehrt jeglicher Vernunft. Es macht mich ratlos und wütend, dass man in der heutigen Kultur, mit unserem Wissen, der Eloquenz und dem kleinsten bisschen Grips im Hirn doch noch zu den Waffen greift.
Insofern und um auf den Satz des Kollegen zurückzukommen, ja ich bin froh hier auf den Abacos zu sein. Wobei hier kein Ort von eitel Sonnenschein oder Zuckerschlecken ist. Definitiv nicht, denn hier ist ein Ort, der das Grauen kennt. Hier ist exakt da, wo Hurrikan Dorian am 1. September 2019 auf Land traf und mit einer unvorstellbaren Zerstörungswut alles platt wälzte und die vielen Inseln und Inselchen der Abacos dem Erdboden gleichmachte. Wo er Tod und unsägliches Leid über die Leute brachte. Wo oftmals kein Stein mehr auf dem anderen blieb und wo die Menschen alles verloren haben. Fast wie ein schlechter Witz mutet es an, dass der Ort wo wir hin wollen Hope Town heisst.
Hope Town
Alle Mooringbojen sind besetzt und so ankern wir direkt vor dem Ort mit Blick auf den wehrhaft wirkenden, rot-weiss gestreiften Leuchtturm. Besucht unbedingt meinen Lieblingsort, schreibt mir Dorothy, die noch vor Dorian hier vorbeikam. Zauberhaft und wunderschön soll es gewesen sein. Und wir stellen uns vor dem ersten Landgang wieder die bange Frage, was uns wohl erwartet. Doch jegliche Sorge war umsonst stellen wir fest, als wir rund um das Hafenbecken laufen. Was für ein herrlicher Platz das ist! Neue Steganlagen, hübsche und bunte Häuser, kleine Geschäfte und wo die Aufbauarbeiten noch nicht beendet sind, arbeiten viele fleissige Handwerker daran. Das Cap’n Jack’s bietet leckere Gerichte an und auf der grossen, renovierten Terrasse ist nur mit Mühe ein freier Platz zu kriegen.
Die Segler sind wieder zurück, wie der Blick auf die besetzten Mooringbojen zeigt. Und auch die wieder aufgebaute Lighthouse-Marina ist gut besucht. Rund um den Leuchtturm bohren und sägen die Handwerker, die jeweils am Morgen mit der Fähre von einer der umliegenden Inseln zum Arbeiten nach Hope Town gebracht werden. Wir nutzen einen etwas windschwächeren Tag und besteigen den 27 Meter hohen Turm. Dieser Leuchtturm soll einer der letzten Leuchtfeuer weltweit sein, der noch mit einer Petroleumlampe betrieben wird. Und die Rundumsicht auf das pittoreske Städtchen, die Strände und vor allem auf das türkis schillernde Wasser ist dramatisch schön.
Arbeit auf den Abacos
Am 4. März frischt der Wind etwas auf und wir geniessen einen langen, einsamen Strandspaziergang auf der Luv-Seite der Insel. Gischt weht uns ins Gesicht, Sand kratzt an unserer Haut und auf dem Wasser tanzen die Schaumkrönchen. Alles wirkt paradiesisch, wenn da nur nicht dieser angeschwemmte Plastik wäre. In allen Grössen sind die Teile über den ellenlangen Strand verteilt. Aber anders als sonst sind hier ganz viele Leute mit einsammeln dieser Zivilisationsgeissel beschäftigt. Und überall stehen Abfallbehälter und Container bereit, wo man den gesammelten Abfall entsorgen kann. Was dann weiter damit geschieht, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis….
Die kommenden Tage frischt der Wind weiter auf und erreicht in Böenspitzen sogar 30 Knoten. Der Grund warum wir bei diesen Bedingungen lieber an Bord bleiben, liegt aber nicht etwa bei einem Misstrauen gegenüber dem Ankergeschirr sondern bei der vermutlich sehr nassen Fahrt mit unserem Beiboot hinüber an Land. Apropos Dinghi, das nimmt sich Daniel gleich vor. Denn unten hat sich die Verklebung gelöst und das entstandene Loch bescherte uns bei den letzten Fahrten nasse Füsse. Auch sonst wird es uns nicht langweilig, gibt es doch immer einiges zu tun am Boot und ich denke, jeder Segler kennt diese nie endende To-do-Liste. Am 8. März hat sich das Wetter wieder normalisiert, Zeit für uns weiterzuziehen. Anker auf, wir gehen einkaufen. Nur gerade etwas mehr als 5 Seemeilen entfernt liegt Marsh Harbor, Hauptort der Abacos und drittgrösste Stadt der Bahamas.
Marsh Harbor – Hauptort der Abacos
Eher nichtssagend die Berichte über diesen Ort, er soll vor dem Hurrikan ein blühendes Segler- und Motorbootmekka gewesen sein, lese ich. Aber es gibt hier Maxwell’s, ein wohlsortierter Einkaufsladen mit einem grossen Angebot unter anderem an frischem Gemüse und Früchten. Mir läuft schon beim Anblick im Internet das Wasser im Mund zusammen. Und tatsächlich, ein kleines Paradies erwartet uns nach nicht einmal 10 Gehminuten. Die Preise dünken mich etwas tiefer als jene damals in Nassau, aber höher als in den Staaten. Beim nachmittäglichen Erkunden kommen wir zwar auch an vielen Neubauten vorbei, allerdings hat es auf dieser Insel noch deutlich mehr Ruinen, abgestorbene oder entwurzelte Bäume. Als ich versuche zwischen zwei Häusern einen Blick auf das Meer zu erhaschen, ruft mich eine Frau und lädt uns auf ihr Grundstück ein.
Die gebürtige Kanadierin will uns unbedingt vom damaligen Albtraum erzählen und zeigt uns welche Häuser in der Umgebung weggeweht oder dem Erdboden gleichgemacht wurden und welche wie durch ein Wunder fast unversehrt blieben. Ihr Zuhause sei beinahe wieder hergestellt, erzählt sie und strahlt dabei so viel Zuversicht und Mut aus. Wir kommen nur gerade drei Häuser weiter, bevor wir vom Nachbarn angehalten werden, der uns seine Geschichte erzählen will. In das grüne Haus zieht meine Mutter ein und das gegenüber bewohnt meine Tante berichtet er uns dann, bevor er davon fährt die Enkel aus der Schule abzuholen. Wir spüren ganz viele Emotionen und erleben, wie traumatisiert die Leute auch etwas mehr als zwei Jahre nach dieser Katastrophe immer noch sind. Aber es ist auch ein starker Wille da, sich nicht unterkriegen zu lassen.
Out-Island Doctor
Seitdem wir hier angekommen sind auf diesem grossen Ankerfeld sticht uns ein Gebäude ins Auge. Gross und gelb mit zwei Türmen erhebt es sich auf dem gegenüberliegenden Hügel. Wir sind überzeugt, dass es sich dabei um eine Kirche handeln muss. Schuhe an und auf zur Erkundung. Doch von wegen Kirche, bei diesem Bauwerk handelt es sich um ein Privathaus stellen wir beim Näherkommen fest. Ich bin gerade dabei, etwas verstohlen Fotos von diesem einmaligen Gebäude zu schiessen, als ein Mann herauskommt und sich als Luis der Besitzer vorstellt. Warum kommt ihr nicht rein und schaut euch um, lädt er uns ein. Er stellt uns seine Frau Gayle vor, die wegen eines schweren Unfalls bettlägerig ist. Und welcher Zufall, sie ist die Tochter der kleinen Inselberühmtheit Dr. Evans Cottman, der das Buch «Out-Island Doctor» schrieb und dieses unglaubliche Schloss eigenhändig erbaute.
Wir verbringen beinahe zwei Stunden mit Luis. Hören seinen dramatischen Schilderungen zu, die mir richtig tief unter die Haut gehen. Trotz Hitze bekomme ich wiederholt eine Gänsehaut. Wir können uns nur ansatzweise vorstellen, was die Menschen erleiden mussten und doch ist Luis ein so unglaublich positiver und lebensbejahender Mensch. Immer wieder erwähnt er den Zusammenhalt, die enorme Hilfe von überall auf der Welt, die Mitmenschlichkeit während dieser Zeit und wie das geholfen hat. Wann immer ihr wollt, kommt zu uns hoch gibt er uns zum Abschied mit und kann es kaum verstehen, dass er uns nicht mit dem Auto zurückfahren soll. Es hat mich tief berührt, welche Kraft die Zuversicht, das Miteinander und das Füreinander und die Mitmenschlichkeit bewirken kann. Dieses Wissen und das gute Gefühl nehme ich tief im Herzen mit, wenn wir die liebgewonnenen Inseln der Abacos dereinst verlassen.
Hallo ihr Lieben. War schön gedanklich mit zu reisen. Eindrücklich wie die Leute sich nach so einer Katastrophe wieder positiv und mit Zuversicht alles aufgebaut haben. Dort ist es wirklich paradiesisch. Liebe Grüsse bis zum nächsten mal.
Ihr Lieben
Bis ihr dann hoffentlich bald mit an Bord seid, freuen wir uns sehr Euch auf diesem Weg mitzunehmen. Es ist tatsächlich sehr beeindruckend, wie die Menschen hier mit diesem Unglück leben und umgehen. Herzliche Grüsse von uns Beiden
Guten Morgen ihr Lieben
Die Geschichten haben mich von Kopf bis Fuss fasziniert.
Ich wünsche euch weiterhin viele solch spannende Momente und Menschen.
Herzlichst eure Freunde
Heinz und Graziella
Ihr Lieben
Wie schön, dass wir auf diesem Weg unsere Erlebnisse mit euch teilen können und ihr so mit dabei seid. Herzliche Grüsse von uns Beiden