Es ist Anfang Juni geworden in der Tyrell Bay auf Carriacou. Meine Stimme ist wieder da, das Fieber und die Halsschmerzen sind verschwunden. Aber ich huste erbärmlich, wie ein Kettenraucher nach dem morgendlichen Aufstehen. Der Kopf schmerzt, ich habe weder Appetit noch Energie. Hänge so richtig schlaff in den Seilen. Planänderung. Nichts mit anlaufen und ankern in der Saline Bay oder Ronde Island, wir segeln am 6. Juni direkt nach Grenada. Ich lass mir dort sicherheitshalber die Lunge abhören, krächze ich zu Daniel. Silvia und Ueli sind bereits vor Ort und helfen tatkräftig bei der Suche nach einem Arzt. Keine Widerrede steht auf meinem Handydisplay, wir fahren Dich hin. Was bin ich dankbar dafür.
Fieber auf Grenada
Altersmässig schätzen wir den einheimischen Dr. Radix deutlich näher bei 80 als bei 70 Jahren. Seinen Platz hinter dem grosssen Schreibtisch verlässt der Arzt während der ganzen Behandlung nie. Ja nicht zu viel bewegen. Und nichts mit Lunge röntgen oder Blutentnahme. Solche Sachen sind wohl überflüssig, versuche ich mich zu beruhigen, er wird’s wohl mit seiner langjährigen Erfahrung wettmachen. Gewissenhaft hört er unterdessen meine Lunge ab. Befund: zuerst ein Virus dann ein Bakterium. Fies, also die doppelte Packung. Aber wenigstens nichts auf der Lunge. 120 EC-Dollar, rund 40 Schweizer Franken sind anschliessend in bar zu begleichen, inklusive Rezept für zwei Medikamente.
Dem Arztbesuch folgt die erste schlaflose Nacht. Kann ja mal vorkommen in meinem Alter. Auch in der darauffolgenden mache ich kein Auge zu, das stresst schon deutlich und entsprechend gerädert bin ich anderntags. Nachdem mir auch in Nacht drei dasselbe Schicksal droht, haben wir das Medikament in Verdacht. Und tatsächlich, einer der Wirkstoffe ist schon in geringen Mengen ein 1A-Aufputschmittel und sorgt dafür, dass man bestimmt nicht einschläft. Goldig und ich nahm 6 Stück pro Tag. Die Pillen werden sofort abgesetzt und ich kehre zu Kurkuma, Honig, Tee, Ruhe und Gott sei Dank auch wieder zu ausreichendem, nächtlichem Schlaf zurück. Als sich dann nach einer weiteren Woche endlich meine Energie zurückmeldet, fällt Daniel mit Fieber und matt ins Bett. Nun gut, dann tauschen wir halt einfach die Rollen. Sein Immunsystem scheint widerstandsfähiger zu sein und so ist das Gröbste für ihn nach ein paar Tagen überstanden.
Wassermacher mit Fieber
Das wars dann, glauben wir. Nichtsahnend, dass uns ein nächster Patient blüht. Zudem einer, auf dessen Dienste wir nicht verzichten wollen und können. Denn ohne unseren Wassermacher sind wir nicht autark und wochenlanges Liegen vor Anker unmöglich. Schon seit einiger Zeit hatte das Teil etwas Mühe mit dem Druckaufbau und es dauerte plötzlich länger, bis der 300 Liter Tank mit Süsswasser gefüllt war. Aber immerhin, er lief. Doch am letzten Sonntag beginnt er zu röcheln und quittiert anschliessend kommentarlos seinen Dienst.
Murphy’s Law, natürlich passiert das wenn das Süsswasser zu Ende geht und vorzugsweise an einem Wochenende. Droht womöglich schon wieder der Gang in eine Marina? Dass wir uns damals für dieses Modell entschieden haben, erweist sich jetzt als Glücksfall. Warum das so ist, das erklärt Daniel in einem separaten Beitrag, mein technisches Verständnis ist arg limitiert. Und so diene ich meinem Skipper bei der sonntäglichen Operation des Elektromotors, der die Hochdruckpumpe antreibt, auch lediglich als Assistent. 4 schweisstreibende Stunden später schliesst der Operateur zuerst die russige und dreckige Operation und danach das geflickte Teil wieder an. Jetzt kommts drauf an, läuft er oder läuft er nicht? Nein, er schnurrt sogar wieder wie ein Kätzchen und binnen ein paar Stunden ist unser Wassertank voll mit köstlichem Süsswasser. Was geniessen wir die anschliessende Dusche.
Rekonvaleszenz
Christoph und Angela sind mit ihrer SY Ithaka wieder aus den südlichen Ankerplätzen zurück und besuchen uns zu einem Sundowner. Mist aber auch, mit wie vielen technischen Problemen sich die beiden Deutschen herumschlagen müssen. Zudem machen Angela ihre beiden grossen Bandscheibenoperationen Probleme und die Angst vor neuerlichen Komplikationen oder gar Schmerzen ist bei ihr sogar Mitsegler. Da ich durch meinen Unfall einen Teil meiner Unbeschwertheit verloren habe, kann ich ihre Gefühle gut nachvollziehen. Es bleibt die Hoffnung, dass wir mit der Zeit wieder zum courant normal zurückkehren und die mutigen, tapferen Frauen werden, die wir vorher waren. Ich für meinen Teil glaube fest daran.
Jetzt gehe ich für eine Weile Landluft schnappen, die Gluckhenne fliegt in die Schweiz. Einen Monat festen Boden unter den Füssen, Qualitätszeit mit meinen Liebsten, die Herzbatterien aufladen und vor allem, ich lerne meinen Enkel Yuri kennen. Schon beim Gedanken daran schlägt das Herz Purzelbäume. Daniel freut sich auf einen freien Monat, keine „Du solltest bitte“ oder „wann machst Du endlich“ sondern „will ich nicht“ und „kann ich irgendwann erledigen“. Er weiss, wo es in der Stadt die besten Schnitzel, Rotis und oder Pizzas gibt, der Getränkekühlschrank und die Lebensmittelschränke sind aufgefüllt, der Anker perfekt eingefahren und in der Nähe ankern einige Segelfreunde. Bei Tschudins herrscht also die klassische Win-Win-Situation.