Alles in XXL

Core Sound Crab Pot TreeIhr habt ja den Weihnachtsbaum noch nicht, lese ich auf der eben eingegangenen WhatsApp Nachricht. Absender ist unsere Dianne, die meint, dass wir ohne dieses Teil unmöglich Richtung Chesapeake Bay reisen können. Ich habe morgen Nachmittag Zeit für einen Shoppingtrip nach Morehead schreibt sie weiter, ihr auch? Also verschieben wir unsere Abfahrt ans Cape Lookout um 24 Stunden und machen uns stattdessen um 13 Uhr auf zum vereinbarten Treffpunkt. Eine Stunde und viele Lacher später sind wir stolze Besitzer eines originalen Core Sound Crab Pot Tree und eine strahlende Dianne erklärt die Mission „Christmas tree for my Swiss friends“ als erfolgreich beendet. Und wir werden uns damit zukünftig an Weihnachten immer an die herrliche Zeit in Beaufort erinnern, versichern wir ihr. Uns bleibt keine Zeit zum Durchschnaufen, Frau Tetraults XXL-Nachmittagsprogram ist straff durchorganisiert. Zuerst geht’s zum Walmart dann zum Lidl diktiert die Missionschefin.

Von wegen riesiger Walmart, lacht Dianne ab meiner Verwunderung, der hier gehört zur Kategorie Quartiersupermarkt. Ich glaube mich verhört zu haben und mir kommen sofort unsere typischen, kleinen Schweizer Quartierlädeli in den Sinn. Dort bestand nicht einmal ansatzweise die leiseste Gefahr sich zu verlaufen, was mir hier in diesem riesigen Shoppingtempel durchaus passieren könnte. Ob Essensportionen, Kleidergrössen oder Supermärkte, da ist einfach alles in Grösse XXL. Ziemlich geschafft schleppen wir kurz vor 16 Uhr fünf prall gefüllte Einkaufstaschen plus einen Weihnachtsbaum vom Auto zum Dinghi und müssen uns dann mit ganz viel Wehmut im Herzen von Dianne verabschieden. Doch die aufgestellte Texanerin lässt gar keinen Abschiedsschmerz aufkommen, hat sie doch schon klare Pläne von unserem Wiedersehen. Spätestens im November zu Thanksgiving sehen wir uns wieder, wenn ihr dann auf dem Weg Richtung Süden wieder Halt in Beaufort macht, ruft sie uns mit einem letzten Winken und einem Handkuss nach.

XXL-Programm mit Dianne

Cape Lookout

Leuchtturm am Cape LookoutAnderntags, schon kurz vor 7 Uhr ist es dann aber wirklich soweit, wir heben nach 10 Tagen Beaufort den Anker und machen uns auf den 10 Seemeilen langen Weg Richtung Cape Lookout. Mit uns streben wieder Dutzende kleinere und grössere Fischerboote dem Ausgang Richtung Atlantik zu, alle im Rausch und Bann des Big Rock, dieses XXL-Angel-Events, auf der Jagd nach Ruhm, Ehre und dem grössten Fisch. Petri Heil ihr Verrückten, für uns hinterlässt ihr in erster Linie unangenehme Wellen und Schwell.

Bereits knapp zwei Stunden später fällt dann der Anker inmitten vieler, anderer Segelschiffe und vor einer malerischen Kulisse. Vom amerikanischen Segelkatamaran Blown Away erreicht Dani die Bitte, Brown beim Dieselfilterwechsel zu assistieren und nach getaner und erfolgreicher Arbeit geniessen wir einen kleinen Spaziergang zum markanten Leuchtturm. Ein weiteres Mal checkt mein Captain die Wetterdaten und aufgrund der neusten Daten beschliessen wir, uns bereits am Freitag auf die 200 Seemeilen lange Strecke zu machen. Das Ziel ist, noch vor der tropischen Depression Claudette in der Chesapeake Bay zu sein. Kurz vor dem Feierabend wird Vairea abfahrtsbereit gemacht und der Kühlschrank ist gefüllt mit vorgekochten Speisen.

Ankerplatz am Cape Lookout

Kurz vor sieben Uhr heben wir am 18. Juni unseren Anker, auf Wiedersehen wunderschöne Carolinas und bis Anfang kommender Saison wieder. Vairea ist nicht die Einzige auf dem Weg nach Norden, auch weitere Segelboote verlassen eines nach dem anderen den Ankerplatz beim markanten Leuchtturm. Fast wie auf einem Schulreisli kommt mir dieser Abmarsch vor, muss ich schmunzeln. Und mit Blown Away, Jupiter 2, Tropicool, Escape, Easy one oder Flora erscheinen alles Namen bekannter Segelcrews auf unserem Plotter. Das Grosssegel haben wir bereits auf dem Ankerplatz gesetzt und sehen jetzt mit Schrecken, warum es nicht schön steht. Das Schothorn flattert, weil der Unterliekstrecker ausgerissen ist. Dies muss umgehend provisorisch repariert werden.

Ohne Wind ums Cape Hatteras

Doch auch als dieses wiederhergestellt ist, hellt sich Daniels Mine nicht auf. Denn der Wind bläst mit fast 15 Knoten aus Nordost, sprich uns genau auf die Nase, was uns nebst wenig Tempo auch doofe, unangenehme Wellen bringt. Wir hoffen auf Besserung und vor allem auf segelbaren Wind. Die Besserung kommt zügig, allerdings anders als gedacht. Denn der Wind stellt komplett ab, die Wasseroberfläche glättet sich und glänzt wie eingeölt in der gleissenden Sonne. Auch mir behagt das motoren nicht und ich warte genauso sehnsüchtig darauf die Maschinen abschalten zu können, aber so kommen wir wenigstens zügig voran, tröste ich den unterdessen etwas übellaunigen Captain. Weitere zwei Stunden erlaubt der Windeinfallswinkel ein Motorsegeln und zehn Seemeilen später dreht der Wind kontinuierlich auf die ersehnte südliche Richtung.

Sonnenuntergang am Cape Hatteras

Pünktlich zum dramatisch schönen Sonnenuntergang erreichen wir Cape Hatteras, diese weit in den Atlantik herausragende Landspitze. Schon oft hat dieser Punkt Seglern das Leben schwer gemacht, sich als Schiffsfriedhof einen zweifelhaften Ruf erworben und wurde aufgrund seiner exponierten Lage auch immer wieder von Hurrikans getroffen. Für uns hat sich das Cape aber in Schale geworfen, zeigt sich völlig zahm und wir runden diesen sehr speziellen Ort mit sieben Knoten Fahrt. Gegen Mitternacht frischt der Wind immer mehr auf und kurz vor 1 Uhr hört man in stockdunkler Nacht von der Vairea den begeisterten Ruf „Motoren aus“! Die göttliche Ruhe währt tatsächlich gut 100 Seemeilen und bis zum Rudee Inlet kurz vor der Chesapeake Bay, als der Wind etwas zu schwächeln beginnt und gleichzeitig ein Gegenstrom einsetzt. Das schreit wohl oder übel wieder nach Motorenunterstützung.

Chesapeake Bay Bridge nicht XXL-hoch

Keine Brücke im XXL-FormatDer Captain hat zwischenzeitlich kapituliert und sich ins Elend ergeben. Und es muss wohl daran gelegen haben, dass er mir einfach nur vergessen hat zu sagen, dass er nicht den weiteren Weg über den Tunnel nehmen will, sondern unter den beiden Brücken durch. Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, frage ich ihn völlig entgeistert. Warum auch nicht, es reicht doch locker meint ein noch entspannter Daniel. Ich habe alles gecheckt, uns bleiben bestimmt 1,4 Meter Luft nach oben. Je näher wir den beiden Brücken kommen umso feuchter werden meine Handflächen. Ich kann meine Kamera fast nicht mehr halten, so zittern mir die Hände. Ich bin mir unterdessen sicher, dass es allen Zahlen und Fakten zum Trotz nicht reichen wird. Nie und niemals!

Die Chesapeake Bay Bridge ist definitiv nicht XXL hoch

Langsam nähert sich Daniel der ersten Brücke. Meine Augen sind starr vor Schreck nach oben gerichtet. Ich bin darauf gefasst, dass wir gleich den 21,4 Meter hohen Mast rasieren werden! Ganz vorsichtig tastet sich der Captain vorwärts, Meter um Meter dem Stahlungetüm näher. Und dann sind wir doch tatsächlich unter der Brücke und nichts passiert, denn wir passen tout just unten durch. Atme wieder, es geht gleich noch einmal los und mamma mia, die zweite Brücke sieht noch viel niedriger aus! Aber auch unter dieser gleiten wir durch. Vielleicht hätte noch ein Blatt Papier zwischen Mastspitze und Brückenunterkante gepasst. Als ich mich zu Daniel umdrehe merke ich, dass auch an ihm die vergangenen Minuten nicht ganz spurlos vorbeigegangen sind.

Geschafft - Wir sind durch!

Kiptopeke Beach mit XXL-Bojenfeld

Nur noch zehn Seemeilen und dann ist der Ankerplatz bei Kiptopeke erreicht, meint er erleichtert. Unser Ziel liegt vor dem gleichnamigen Strand und hinter neun versenkten Schiffen aus Beton, die als Wellenbrecher dienen. Besonders wichtig war das damals, als 1949 ein Autofährenbetrieb nach Hampton in Betrieb genommen wurde. Der Anblick dieser über 900 Meter langen künstlichen Barriere ist sehr speziell. Wir sind gespannt, ob diese Boote aus Ferrozement auch tatsächlich heranrollende Wellen abhalten können. Denn die tropische Depression Claudette ist vom Süden her im Anmarsch. Sie bringt viel Wind und Wellen mit und ein guter, geschützter Ankerplatz ist daher unumgänglich.

Doch oh Schreck, das Wasser zwischen Wellenbrechern und Strand ist ein einziges XXL-Bojenfeld! Soweit das Auge reicht ist alles übersät mit kleinen Bojen in allen Farben und Formen. An jeder hängt ein Krabbenkorb und ein Ankern scheint auf den ersten Blick völlig unmöglich zu sein. Guter Rat ist teuer und eine Lösung muss her. Wir ankern erst einmal etwas ausserhalb, überzeugen uns zuerst davon dass dieser Ort auch tatsächlich ein offizieller Ankerplatz ist und erkennen dann bei genauer Betrachtung, dass die Bojen geometrisch angeordnet sind und wir vermutlich relativ problemlos zwischendurch passen. Also amte ich wieder einmal als Ausguck auf zwei Beinen und lotse meinen Captain vorsichtig zwischen den „Seezeichen“ durch. Und tatsächlich finden wir eine halbe Stunde später einen Platz, wo wir den Anker fallen lassen können. Und nachdem mein Captain noch zwei der Krabbenkörbe „etwas“ verschoben hat, ist auch der Schwojkreis hindernisfrei.

Kiptopeke Beach

Ankermanöver zwischen Krabbenkörben

Mit Aufregung im XXL-Format bin ich jetzt aber bedient, versichere ich meinem Schatz beim Zubettgehen. Als dann gegen Mitternacht der stärkere Wind einsetzt merken wir, dass diese Betonschiffe tatsächlich die Wellen und sogar einiges an Wind abhalten können. Wir geniessen anderntags gerade unser Frühstück, als ein amerikanisch beflaggter Monohull auf das Ankerfeld zuhält. Ui, jetzt sind wir aber gespannt, wie dieser Einhandsegler mit der Bojen-Situation klarkommt.

Ankermanöver zwischen KrabbenkörbenUnd wie er damit umgeht. Wo wir uns ein paar Stunden zuvor unter Motor, übervorsichtig und rücksichtsvoll vorantasteten, damit um Himmels Willen nichts kaputt geht, braust er unter Segel, ohne Motor und ohne Rücksicht auf Verluste durch das Feld. Um dann seinen Anker in voller Fahrt und wo es für ihn passt, ohne auf irgendwelche Hindernisse zu achten ins Wasser fallen zu lassen. Anschliessend birgt er das Tuch, versichert sich kurz, ob der Anker hält, räumt sein Schiff auf und verschwindet dann unter Deck. Eventuell zerstörte Krabbenkörbe? Scheinbar verschwendet er keinen Gedanken daran. Wir haben das Spektakel sprachlos und mit offenem Mund verfolgt, zollen ihm für diese Aktion heimlich Applaus und fragen uns, ob wir uns das auch trauen würden. Wir glauben eher nicht, dass wir so kaltschnäuzig sein könnten. Aber es war definitiv eine ganz spannende Erfahrung, wie unterschiedlich man ein und dasselbe XXL-Problem angehen und lösen kann.

Kiptopeke Beach im Juni 2021

Unsere Reise im Überblick Unsere Schatzkiste

2 Kommentare zu „Alles in XXL“

  1. Graziella Schaffer

    Hallo ihr Lieben ! Wiederum ein sehr interessanter und spannender Bericht, ich spürte deine Angst förmlich, als ihr so knapp unter der Brücke durch gefahren seid, huch musste gerade auch den Atem anhalten…
    Da kam mir gerade die Eisenbahnunterführung in Frauenfeld in den Sinn, da kracht es doch auch immer wieder.
    Eure Erlebnisse sind unbezahlbar und ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr mal wieder festen Boden unter den Füssen haben werdet, aber man weiss ja nie
    Alles Liebe von euren Freunden

    1. Wie schön ist das, dass Du mit mir fieberst liebste Graziella und ich nicht ganz alleine bibbern muss.
      Und wir können unmöglich aufhören, bevor ihr nicht noch einmal zu uns an Bord kommt, wir Euch dann nach Strich und Faden verwöhnen können und zusammen eine tolle Zeit verleben. Seid herzlichst gegrüsst von Euren Freunden

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