Abschiede von Wohlfühlorten und Menschen die man liebgeworden hat, sind nicht ganz so traurig, wenn man jederzeit zurückkehren kann. Und das können, ja das müssen wir sogar. Das versprechen wir unseren portugiesischen Freunden Gilda und Xana beim Essen an unserem letzten gemeinsamen Abend im geliebten Alvor. Klar könnten wir „ewig“ an der Algarve bleiben, es gibt kaum etwas, was uns dort und generell an Portugal nicht gefiel. Und doch spüren wir, dass die Zeit reif für einen Wechsel ist. Dass wir wieder einen Schritt vorwärts machen wollen und dafür jetzt auch bereit sind.
Und so ist es am Sonntag 23. April soweit, der bisher längste Schlag steht uns bevor. Alles ist gecheckt und überprüft, wir sind ausgeschlafen und fit, Kühlschrank, Wasser- und Dieseltanks sind gefüllt, jegliche Daten abgefragt und notiert und Wetter sowie Wellen sollten uns dieses Mal wohlgesonnen sein. Ja, es sollte eine wirklich schöne Überfahrt werden.
Mit einer grossen Kiste sonnengereifter Orangen von Alvor an Bord lösen wir bei herrlichem Sonnenschein um 10 Uhr die Leinen, winken unserer liebgewonnenen Alvorfamilie ein letztes Mal zu und machen uns auf den Weg. Weg aus Alvor, weg vom Festland und fort aus dem alten Europa. Unser Ziel heisst Porto Santo, die kleinere Schwester von Madeira, fast 500 Seemeilen oder 900 Kilometer entfernt und mitten im Nordatlantik gelegen. Wenn ein Segler seine Ankunft berechnen will, dann geht er von einem Schnitt von 5 Seemeilen pro Stunde aus, ergo rechnen wir mit der Ankunft dort nach +/- 100 Stunden.
Nach einigen Stunden lässt die Anspannung nach, wir versuchen unsere Segel-Routine wieder zu finden und uns baldmöglich wieder an das Geschaukle an Bord zu gewöhnen. Zum Glück stimmt das Wetter fast zu 100% mit den Berichten überein, das gibt Vertrauen. Die ersten Delphine besuchen uns, ich glaube nicht, dass mir diese Besuche je einmal zu viel werden könnten! Entgegen der ursprünglichen Planung für die Nachtwachen (3 Stunden im Wechsel), geht immer der von uns Beiden ins Bett, der den Schlaf braucht. Und so sind wir am zweiten Tag auf See schon etwas besser im Rhythmus. Doch unsere Mägen vertragen noch nicht viel anderes als Bouillon, Apfelmus oder trockene Kekse. Warum der Bilgenalarm alle paar Stunden für ein paar Sekunden anspringt, ist uns ein Rätsel. Ein Kontrollblick in die Bilge zeigt, dass sich nur ein wenig Wasser darin befindet.
Am dritten Tag erleben wir etwas ganz Spezielles, nämlich eine komplette Flaute. Den Atlantik so topfeben zu sehen ist ein völlig ungewohntes, unglaublich friedliches Bild. Als uns dann noch ein Schweizer Frachter namens „Corviglia“ kreuzt, ist das Schweizer Hochseetreffen fast ein wenig kitschig. Zu früh gefreut, den am 26. April dreht sich das Blatt praktisch von einer Minute zur anderen, leider aber nicht zu unseren Gunsten. Der Wind frischt zwar willkommenderweise auf, nur bläst er nicht wie gewünscht aus Nord, sondern aus Ost und dann sogar aus südlicher Richtung. Leider kommen die immer steileren Wellen auch von schräg vorne und der Ritt wird immer ruppiger und unangenehmer. Wie wenn das nicht genug wäre, schiebt Petrus noch eine dicke, schwarze Wand heran und öffnet alle Schleusen! Von oben prasselt der Regen, von unten schlagen die Brecher an unsere tapfere Vairea und der Wind heult seinen ganz eigenen, schaurigen Gesang, ein riesen Lärm und ein einziges Tohuwabohu. Wir fühlen uns zwar keine Sekunde lang unsicher, aber körperlich ist es uns doch unwohl. Fast 100 Seemeilen erdulden wir diese unerfreuliche Situation, bevor sich die Wettersituation wieder etwas beruhigt. Manchmal muss man einfach durch etwas durch, muss beissen oder sich in den Hintern kneiffen. Da hilft weder Jammern noch Zetern, nur positives Denken und sich die Ankunft plastisch schon einmal vorstellen.
Und um genau Mitternacht wird die Vision dann Wirklichkeit, der Anker fällt nach 86 Stunden und zurückgelegten 496 Seemeilen im grossen Hafenbecken von Porto Santo. Wir aktivieren noch einmal all unsere Reserven, kontrollieren alles genau, haben dann aber Beide schon geschlafen, noch bevor unsere Köpfe die Kissen berührt haben.
Wie wir diesen Schlaf genossen haben, muss ich wohl nicht erklären. Als erstes sind wir anderntags von der warmen und feuchten Luft überrascht. Entgegen der Algarve ist das Klima auf dieser subtropischen Insel ein völlig anderes.
Für uns steht als erstes die Anmeldung bei der Hafenbehörde an. Wir werden ein paar Euros für den geschützten Ankerplatz bezahlen, könnten aber dafür die Duschen benutzen. Ein sehr fairer Deal! Kaum habe ich meinen Fuss an Land gesetzt, erwischt mich die Landkrankheit. Der Boden schwankt und ich taumle wie eine Besoffene umher. Ein kurzer Spaziergang ins nächste Dorf sollte Abhilfe schaffen. Und tatsächlich, sobald ich in Bewegung bin geht’s besser. Nur stehen bleiben ist tunlichst zu vermeiden…. Vila Baleira ist ein hübscher Ort, ruhig, mit kleinen Häuschen und blumengesäumten Gärten. Wir schauen im Museum von Columbus vorbei und kaufen im Supermarkt frisches Gemüse, Brot und Früchte.
Da war noch dieser wiederholte Bilgenalarm, der uns beschäftigt. Wir haben die Bordtoilette im Verdacht und wollen dies gleich anderntags klären. Im Ausschlussverfahren kreisen wir 24 Stunden später die Ursache ein. Hängen kopfüber in der Bilge, stecken unsere Arme, Finger, Taschenlampen und das Endoskop durch alle möglichen Löcher und Öffnungen, studieren die Baupläne und hadern, dass an Bord alles so dermassen schwer bis unmöglich zugänglich ist. Wo auch immer wir Wasser entdecken, wird sofort getestet ob es sich um Süss- oder Salzwasser handelt. Leider schmeckt es immer salzig – es kommt also von draussen nach drinnen. Mist! Die Bordtoilette scheidet als erste Verdächtige aus. Unterhalb des Kugelventils beim Borddurchlass sehen wir in einer schmalen Rinne Wasser, welches aber atypisch nicht Richtung Bilge läuft. Interessant, da stimmt etwas nicht. Die Wand ist feucht und der Check mit dem Endoskop zeigt das Rinnsal, welches vom Kugelventil Richtung Rinne läuft. Das verheisst nichts Gutes. Wir vermuten, dass eine Dichtung nicht oder nicht mehr hält und daher immer etwas Salzwasser hineinschwappt. Bei grossen Schiffsbewegungen wie in den letzten Tagen mehr, jetzt im ruhigen Zustand handelt es sich nur um wenige Tropfen. Ein Umstand, der repariert werden muss und zwar nicht irgendwann, sondern zeitnah. Und so beschliessen wir, bereits anderntags in die Marina Quinta do Lorde auf Madeira zu segeln und uns dort mit der Werft in Verbindung zu setzen. Schade eigentlich, wir hätten gerne noch etwas Zeit auf dem hübschen Porto Santo verbracht. Aber wir hätten keine Ruhe und Musse gefunden, bevor die Salzwassersituation nicht geklärt ist.
Am späten Nachmittag, nach dem Bergen der Segel und dem Funkspruch zur Marina holt uns ein Marinero mit seinem Dinghi draussen vor der Hafeneinfahrt ab. Gekonnt und freundlich hilft er uns dann beim Anlegen, das nennen wir flotten Service. Wir sind überrascht, wie klein die Marina von Quinta do Lorde ist. Hübsch ist die Anlage und freundlich sind sie hier Alle. Leider ist Wochenende und am 1. Mai arbeitet auch niemand auf der Werft, bedauert Nicole vom Marina-Office, aber am kommenden Dienstag wird sich bestimmt jemand mit uns in Verbindung setzen.
Wir sind noch völlig ahnungslos und sehr gespannt, wie das Problem repariert werden kann.
Sobald dies gelöst ist, möchten wir mit Mietwagen und mit Wanderschuhen die Insel erkunden. Vor allem freuen wir uns auf ein kommendes Highlight, das alljährliche Blumenfestival.