Gleich neben dem Kartentisch liegen sie, die beiden heiss begehrten Tickets für das „Coming Home Konzert“ vom Abend des 21. August im New Yorker Central Park. Das Konzert-Highlight, wo sich Superstars von A wie Andrea Bocelli bis S wie Bruce Springsteen die Ehre geben werden. Zusammen mit erwarteten 60‘000 Zuschauern wollen die Künstler das Ende der Corona-Einschränkungen feiern. Wer es vermag, sicherte sich ein VIP Ticket für rund 5000.00 Dollar, Glückspilze dagegen gewannen Eintrittskarten. Bis Mitte der Woche weht der Geruch von grösster Vorfreude durch die Vairea. Kein Wölkchen trübt weder Himmel noch Glücksgefühl. Doch in diese Glückseligkeit hinein platzt Henri wie eine Stinkbombe. Anfänglich von der NOAA „nur“ als tropische Depression aufgeführt, verfolgen wir fassungslos, wie sich das Biest täglich aufplustert und immer mehr an Kraft gewinnt.
Vor allem aber seine Zugrichtung macht uns Bauchweh. Am Tag vor dem Konzert folgt dann die endgültige Ernüchterung! Henri, unterdessen zu einem Hurrikan Stufe 1 mutiert, soll gemäss den Voraussagen am Sonntag, dem 22. August auf Long Island auf Land treffen! Und auf Long Island liegen wir. Zwar befindet sich Port Washington ganz im Westen der Halbinsel, aber ob das Mistding dann tatsächlich auch im Osten auftrifft wie vorausgesagt, steht in den Sternen. Unter diesen Voraussetzungen macht ein Konzertbesuch keinen Sinn, könnten wir den Abend wohl nicht unbeschwert geniessen. Manchmal ist vernünftig sein schon doof, denke ich beim Stornieren des bereits gebuchten Hotelzimmers. Grosse Erleichterung herrscht hingegen bei meiner Tochter, deren Flieger nach Zürich noch am Abend vor Henris Eintreffen abhebt.
Hurrikan Henri steuert auf uns zu
Während wir am Samstagabend auf der Vairea gespannt die aktuellsten Wetterprognosen studieren, erreichen uns zwei Nachrichten. Die erste kommt aus dem Swissflieger, wo Glückspilz Melanie ein Upgrade in die Businessklasse erhalten hat und es wenigstens bei einem Familienmitglied rund läuft. Und die zweite Nachricht kommt aus New York. Wegen starker Gewitter und sinnflutartigem Regen musste das Konzert im Central Park bereits nach der Hälfte abgebrochen werden.
Mit etwas mulmigem Gefühl gehe ich in dieser Nacht ins Bett. Was uns der Durchzug von Henri am morgigen Tag bringt, bleibt jetzt einfach abzuwarten.
Nach einer ruhigen Nacht ist er da, dieser für die Region von Long Island so denkwürdige und gefürchtete Sonntag. Nicht nur wir schauen gebannt nach oben, praktisch überall auf den Booten stehen die Segler nicht weniger gespannt an Deck. Der Himmel ist grau und verhangen, es ist ruhig und zu Beginn fällt nur leichter Regen, der gegen Abend etwas stärker wird. Auch der Wind frischt ein wenig auf, schläft aber am Abend wieder ein. Wir vernehmen, dass Henri wie prognostiziert im äussersten Osten von Long Island auf Land getroffen ist. Dort fiel er aber schnell zusammen und bescherte der Region und seinen Menschen zum Glück nur geringfügige Schäden. Was für eine Erleichterung und ein Glück, dass wir Henri völlig unbeschadet überstanden haben.
Am Montagmorgen tobt sich das Rückseitenwetter noch etwas aus, bevor die Sonne gegen Mittag die Oberhand gewinnt und wir endlich wieder den blauen Himmel sehen. Kurz darauf legt das Wassertaxi längsseits an und Dani macht das motorlose Dinghi daran fest. Freude herrscht auf der Vairea, denn der Motor ist angekommen und wartet in der Werft auf die Abholung. Eine knappe halbe Stunde später höre ich den satten Sound eines rund laufenden Aussenbordmotors und sehe kurz darauf einen strahlenden Captain. Judihui, jetzt sind wir wieder mobil!
Nach Henri in den Big Apple
Es ist Dienstagmittag geworden und das Wetter zeigt sich wieder von seiner besten Seite. Fast so, als wäre nie etwas gewesen. Es ist Mittag und wir Beide sitzen ein Sandwich geniessend und freudestrahlend im herrlichen Bryant Park. Daniel meinte nämlich nach Henris Durchzug, dass wir diesen Aufenthalt im Big Apple noch zugute haben, bevor wir uns Richtung Süden aufmachen. Ich wollte ihm da keinesfalls widersprechen. Mit dem Hotel The Juwel, gegenüber dem Rockefeller Center, haben wir einen richtigen Glücksgriff gelandet. Super freundliches Personal, eine geniale Lage und preislich attraktiv. Am Nachmittag geht’s an die Erfüllung unserer jeweiliger Wunschdestinationen. Direkt am Hudson River liegt das Intrepid Sea, Air & Space Museum.
Die Ausstellung beinhaltet nicht nur eine Concorde-Maschine, sondern auf dem Flugzeugträger der USS Intrepid steht mit der Enterprise auch die erste Space Shuttle Raumfähre. Absolut ungeeignet für klaustrophobisch veranlagte Menschen ist die USS Growler. In der Enge dieses mit Atomraketen bestückten U-Bootes könnten vermutlich Alpträume wahr werden. In kurzer Fussdistanz zum Hotel liegt das MoMa mit seiner schier unglaublichen Fülle an den weltweit bedeutendsten Kunstwerken. Aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen von anderen Kunstmuseen kann ich mein Glück kaum fassen, dass zum einen so wenige Besucher den Weg in dieses phantastische Museum gefunden haben und vor allem, dass wir die Werke von Van Gogh, Gauguin, Picasso oder Chagall, Rothko oder Meret Oppenheim so aus der Nähe bewundern dürfen.
New York, New York
Wohl kaum eine andere Stadt auf der Welt ist so im Wandel wie New York. Und daher wundert es nicht, dass sich einzelne Stadtteile immer wieder neu definieren oder Attraktionen aus dem Boden oder sogar dem Wasser gestampft werden. Mit Little Island entstand am Pier 55 eine neue grüne Oase, die von den Städtern dankbar angenommen und genutzt wird. Und im Meatpacking District spürt man nichts mehr von Schlachthöfen oder Mehlverarbeitung. Geblieben sind einzig die rötlich-braunen Brickstone-Gebäude, wo sich jetzt alles eingemietet hat was hip oder trendy ist. Wir flanieren durch den herrlichen Chelsea-Market und lassen uns in der New York Roastery, dem ultramodernen Flaggschiff von Starbucks einen feinen Kaffee kredenzen.
Am letzten Morgen unserer New York Tage wollen wir ganz gemütlich noch etwas um das Rockefeller Center flanieren, als wir plötzlich in der Morning Show von NBC landen. Die rund dreistündige Sendung wird täglich im Freien und mit Publikum aufgenommen und live gesendet. In einer der Werbepausen lassen es sich die vier Moderatoren nicht nehmen, völlig unverkrampft und entspannt mit uns Zuschauern zu plaudern und für Fotos zu posieren. Ich bewundere und mag diese unverkrampfte und lockere Art sehr. Nach drei Tagen ist unser Bedarf nach Grossstadt allerdings gedeckt. Wir sind froh, am späteren Nachmittag wieder im beschaulichen und ruhigen Zuhause zu sein.
Am 29. August dann sagen wir Port Washington definitiv Adieu. Noch einmal liegen wir für zwei Nächte am wohl einmaligsten Platz vor Lower Manhattan vor Anker. Setzen noch einmal mit dem Dinghi hinüber und geniessen einen finalen Spaziergang durch den Finanzdistrikt und dem Hudson entlang bevor wir uns am letzten Augusttag auch vom Big Apple verabschieden. Es geht südwärts, 120 hoffentlich ruhige Seemeilen bis Cape May liegen vor uns.