Von Bombenstimmung bis Bombenzyklon

Kaum zu glauben, meint Daniel, wir könnten tatsächlich den Weg innen rum nehmen. Mit innen rum meint er die 34 Seemeilen von West Palm Beach nach Fort Lauderdale auf dem Intracoastal Waterway (ICW) zu fahren, anstatt etwas über 50 Seemeilen aussenrum. Diese Wasserstrasse zu befahren ist wegen fixer Brücken und Vaireas Masthöhe sonst praktisch überall tabu. Zwischen West Palm Beach und Fort Lauderdale befindet sich zwar keine dieser fixen Brücken, aber eben bis vor kurzem diese Eine, die für unser Boot ihre Klappe nicht hoch genug öffnete. Doch dieses Provisorium ist seit kurzem Geschichte und so entscheiden wir uns für die ICW-Premiere. 19 Brücken werden wir passieren müssen bis zum geplanten Ankerplatz Lake Sylvia. Aber warum denn Lake Sylvia, fragt Frank von der Ventura. Ankert doch in der schönen Sunrise Bay wo wir letztes Jahr wochenlang lagen, meint er.

ICW von West Palm Beach in die Sunrise Bay nach Fort Lauderdale

Und zählt uns eine Vielzahl Argumente zu diesem Ankerplatz auf, die alle sehr überzeugend tönen. Die Anzahl Brücken reduziert sich somit auf 17, immer noch eine stattliche Anzahl. Aber von wegen entspannter Fahrt, wie von uns blauäugig angenommen. Zeitweise artet es fast in Stress aus, denn die Zeiten von einer Brückenöffnung bis zur nächsten sind oft dermassen knapp bemessen, dass wir richtig Gas geben müssen. Einmal falsch kalkuliert, dann heisst es 30 Minuten bis zur nächsten Öffnung warten. Dies teilweise bei recht kräftiger Strömung oder viel Verkehr. Nach etwas über fünf Stunden haben wir es geschafft und die Sunrise Bay liegt zu unserer Rechten. Gut belegt zwar, doch wir finden problemlos einen guten Platz. Der Katamaran Safari liege auch vor Anker und bei Lisa und Jamie, den amerikanischen Besitzern müssten wir unbedingt vorbei, schreiben uns unsere Freunde Mellie und Frank.

Sunrise Bay

Sunrise Bay

Die beiden Deutschen hängen noch im eisigen Kanada fest und Dani brütet seit Tagen zusammen mit dem Captain der Ventura über einem guten Wetterfenster damit die Beiden und Bordhund Lotta schnellstmöglich südwärts gelangen. Denn die Winterstürme in diesen nördlichen Breiten sind erbarmungslos und es gilt unbedingt zu verhindern, in Halifax festzufrieren. Nebst dem eisigen Wetter setzen der tapferen Crew die unzähligen Lobster Pots zu und verhindern zusätzlich zum Wetter ein reibungsloses Vorankommen. Wir werden Euch hier in der Sunrise Bay würdig vertreten, bis ihr irgendwann selbst wieder hier seid, versichern wir den Beiden mit einem Augenzwinkern.

Auf der SY Safari von Lisa & Jamie mit Bob & Sarah

Ich lebe die folgenden Tage und Wochen wie ein Schwamm! Sauge all die Vorzüge auf, die mir Fort Lauderdale und unsere Ankerbucht bieten. Zuoberst auf der Schwamm-Richterskala stehen die gemeinsamen Abende mit Lisa und Jamie. Feuchtfröhlich, mit Bombenstimmung und vor allem sehr lang sind sie! Aus dem fernen Kanada verraten Frank und Mellie ihren absoluten Restaurant-Geheimtipp am Pompano Beach, den wir vier selbstverständlich subito überprüfen und das von aussen unscheinbare Lokal einige Stunden später völlig begeistert wieder verlassen.

Miyako Susi in Pompano Beach

Das zweite grosse Plus der Sunrise Bay ist der Hugh Taylor Birch State Park, der gegenüber der Ankerbucht liegt. Dieser riesige öffentliche Park beheimatet Schildkröten, Eichhörnchen und mehr als 200 verschiedene Arten von Vögeln. Uns bietet er vor allem die Möglichkeit, stundenlang meist auf schattigen Pfaden zu laufen! Gleich nach dem Park beginnt der kilometerlange Sandstrand mit den vielen Hotelanlagen, Restaurants, Bars und Geschäften. In Fussdistanz liegen ein wohlsortierter Publix Supermarkt, eine französische Bäckerei mit gesalzenen Preisen sowie eine kleinere Einkaufsmall.

Hugh Taylor Birch State Park

Fort Lauderdale

Wohl einem glücklichen Zufall ist es zuzuschreiben, dass mir ein paar Tage später das verlockende Angebot für den Mietwagen nicht durch die Finger rutscht. 80 Dollar für 6 Tage, da schlagen wir mit Freuden zu. Nun wird der Bewegungs-Radius schlagartig grösser. Während ich das schlendern durch die typisch amerikanischen Malls geniesse, blüht mein Captain beim Besuch in einem dieser vielen Zigarrenstores auf. Und endlich kann er seinen heissgeliebten, fast leeren Humidor mit den neusten Preziosen füllen. Für das Finale der Fussball-Weltmeisterschaft, das mit dem Herzschlagsieg der Argentinier endete, geraten wir per Zufall in eine Cigarlounge und Bar, deren Besitzer aus Buenos Aires stammen. Tränen, abgrundtiefe Trauer und dann Freudenschreie, alles wurde geboten.

Finalspiel der WM 2022

Weihnachten rückt näher und die prächtigen Villen rund um die Sunrise Bay erstrahlen im Glanz abertausender Lämpchen und Lichterketten. Ebenso die vielen Boote, die nach dem Eindunkeln auf dem Fluss an der Sunrise Bay vorbeifahren. Auch Vairea trägt ganz stolz etwas Lichterglanz und im Salon strahlt der aus recyclierten Crabpots gefertigte Weihnachtsbaum auf die gestrickten Krippenfiguren. Durch das Schiffsinnere zieht der süsse Duft von Weihnachtsgebäck und wir sehen schon voller Freude einem weiteren Fest unter Floridas Sonne und Wärme entgegen. Doch wie eine Bombe schlagen da die neusten Wetterprognosen für die kommenden Tage in diese friedliche, relaxte Stimmung ein. Eine extreme Kältewelle sagen die Meteorologen für die beiden Weihnachtstage voraus, eine die sich aus dem Norden bis runter nach Miami wälzen soll. Sogar von einstelligen Temperaturen in der Nacht ist die Rede, sowie von der Wahrscheinlichkeit von Schneefall im Norden Floridas.

Weihnachtsstimmung auf der Vairea

Jahrhundertereignis Bombenzyklon

Und wir hören zum ersten Mal den Begriff «Bombenzyklon», einem Wetterphänomen bei dem die Temperaturen innert weniger Stunden um bis 40 Grad fallen können. Auch lesen wir, dass solche Verhältnisse sehr selten sind und nur einmal je Generation auftreten. Da hätte sich dieses Phänomen gerne noch ein Jahr Zeit lassen können. Doch alles grummeln und jammern nützt nichts und so packen wir halt wieder die bereits eingeschweissten, warmen Decken aus. Und wenigstens hat die von mir eingebaute Dieselstandheizung noch etwas ihre Berechtigung, schmunzelt Daniel. Es kommt genau wie vorhergesagt, der bissige Nordwind hält Florida während Tagen in den eisigen Krallen. Die Temperaturen fallen und wir feiern Weihnachten mit Sweater und langen Hosen, anstatt in Shorts und Shirts, aber ganz friedlich und genüsslich mit unserem traditionellen Festtagsmenue. Am 25. Dezember zahle ich den Kältetribut, meine Nase ist komplett zu, die Stimme verschwunden und die Bronchien schmerzen.

Bombenzyklon im Dezember 2022

Unsere Freunde Mellie und Frank haben es unterdessen glücklicherweise bereits bis New York geschafft und von dort schicken sie mir nebst besten Genesungswünschen den heissen Tip, der Erkältung mit Zwiebelsirup zu Leibe zu rücken. Ich verziehe zwar etwas die Nase, doch es funktioniert! Bereits einige Tage später kehre ich zu den Lebenden zurück und wir können uns ernsthafte Gedanken über die anstehende Etappe zu den Bahamas machen. Denn da wäre dieses wirklich tolle Fenster, schwärmt mir mein Captain und bester Wetterrouter vor. Allerdings müssten wir dann den letzten Tag im Jahr 2022 auf See verbringen, gibt er zu bedenken. Es gibt definitiv Schlimmeres meine ich dazu und so fassen wir den 31. Dezember als Abfahrtstag ins Auge. Berichten Lisa und Jamie von unseren Plänen, die uns aber nicht ohne ein typisch amerikanisches Abschiedsdiner ziehen lassen wollen.

Abschied von Jamie & Lisa auf der SY Safari

 

Abschied von den USA und der Sunrise Bay

Es wird ein denkwürdiger, langer und sehr feuchter Abend und zum Abschied versichern wir uns hoch und heilig, dass es ein baldiges Wiedersehen auf den Bahamas gibt. Alle Stauräume sind mit Lebensmitteln gefüllt, der Kühlschrank ist knacke voll mit Frischwaren, ebenso wie unsere Bäuche vom finalen Steakhousebesuch am Vorabend und vor allem, die Wetterprognosen passen perfekt. Und so heben wir am letzten Tag des Jahres und nach über drei Wochen in der Sunrise Bay unseren Anker und machen uns auf den Weg, etwas über 70 Meilen in nordöstlicher Richtung zur Inselwelt der Bahamas.

Morgenstimmung in der Sunrise Bay

In all die Vorfreude auf das blaue Paradies mischt sich bei mir beim Zurückschauen auf die schöne Sunrise Bay nebst viel Dankbarkeit auch etwas Wehmut. Waren die USA und ihre Menschen doch während so langer Zeit fast ein bisschen wie ein Zuhause geworden. Dadurch, dass wir oft länger an den Orten blieben und dank den Freundschaften hatten wir das Glück etwas vertiefter in die Kultur und die Lebensweise der Amerikaner zu blicken. Sozusagen ein Blick hinter die Kulissen. Und genau das erleben zu dürfen erachte ich als so wertvoll. Das Kennenlernen der Verschiedenartigkeit und diese einfach vorurteilslos anzuerkennen als das was sie ist. Doch dann geht der Blick wieder nach vorne, in Richtung Atlantik und in Richtung neuer Abenteuer.

Im Dezember 2022 in Fort Lauderdale

Unsere Reise im Überblick Unsere Schatzkiste

2 Kommentare zu „Von Bombenstimmung bis Bombenzyklon“

  1. Graziella Schaffer

    Hallo meine Liebe
    Der Bericht hat mich sehr eingenommen und ich bin immer wieder glücklich, wenn ihr jeweils gut aus so brenzligen Situationen kommt.
    Die Deko auf eurer Vairea sieht sehr schön und kuschelig aus. Ich denke die Kälte hat noch mehr Weihnachtsgefühle ausgelöst und das Fazit von dem Ganzen ist, dass ihr jetzt wieder schön warm habt. Ich freue mich mit euch.
    Wünsche euch weiterhin eine warme und glückliche Zeit.
    Liäbs Grüessli aus der etwas kälteren Schweiz:))

    1. Ganz herzlichen Dank meine Liebe für Deine warmen Worte. Die haben mich so gefreut. Und ich gebe die besten Wünsche gerne an Dich und unseren Freund Heinz zurück.
      Seid ganz lieb gegrüsst von uns Beiden

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