Es ist der zweitletzte Tag im Jahr 2019 und wir sind auf dem Weg nach Antigua. Angela und Christoph sind schon früher los und segeln ca. eine knappe Stunde vor uns. Dank viel Sonnenschein, moderatem Schwell und Leichtwind scheint‘s ein richtig schöner Segeltag zu werden. Als wir ein paar Stunden später an der Ithaka vorbeiziehen, werden auf beiden Booten Handys und Fotoapparate gezückt. Bilder vom Segelboot aus der Nähe, unter Vollzeug und in Rauschefahrt sind nichts Alltägliches, dafür umso begehrter. Bereits kurz nach 14 Uhr biegen wir auf den grossen Ankerplatz bei Falmouth Harbour ein.
Es ist so eine Sache mit den Wunschzielen, geht es mir durch den Kopf, als ich auf Daniel warte. Der hat sich mit den Schiffspapieren nach English Harbour zum einklarieren aufgemacht. Es heisst, bei zu grossen Erwartungen droht die Gefahr enttäuscht zu werden. Das war aber weder bei Rio de Janeiro, Kuala Lumpur oder Hawaii der Fall, warum also sollte es denn bei Antigua anders werden. Und so sehe ich der Zeit auf Antigua weiter freudig gespannt entgegen. Eine Insel, deren Name schon so wohlklingend tönt. Übersetzt aber gemeinhin „die Alte“ heisst. Und der die Ureinwohner den Namen Wadadli gaben. So wie das heute auf der Insel gebraute Bier heisst.
Bereits nach der ersten Nacht räumen wir mit einem Vorurteil auf. Von wegen auf allen englischen Inseln steppt pausenlos der Bär. Oder wummert nonstop Sokamusik aus riesen Boxen und ein verkappter DJ brüllt stundenlang unverständliche Parolen ins Mikrophon. Auf Antigua ist es totenstill! Jedenfalls in dieser Nacht. Nichts überstürzen, morgen ist Sylvester, mahnen wir uns zur Zurückhaltung.
Very British in Antigua
Zu Fuss sind es nur ein paar Minuten von Falmouth Harbour hinüber zur historischen Hafenanlage von Nelson’s Dockyard. Die grosse Anlage mit dem geschützten Hafen ist ein Freiluftmuseum und gehört seit 2016 zum Unesco Weltkulturerbe. Alles ist „Very British“ und unglaublich gepflegt. Feiern mit leerem Magen ist ganz ungünstig. Und so haben Angela und Christoph in weiser Voraussicht im Yacht Club von Falmouth für uns Alle einen Tisch reserviert. Mit vollen Bäuchen und verstärkt durch die Crew der englischen Silhouette machen wir uns anschliessend auf Richtung Festplatz. Bei all diesen vielen Leuten wird uns auch klar, warum vor der Freiluftbühne ein grosser Rasenteppich ausgelegt wurde.
Unter freiem Himmel zählen wir dann den Countdown mit herunter, jetzt gilt‘s Ernst. Mit jedem Schlag lassen die vielen Yachten rund um das Hafenbecken ihre Schiffshörner ertönen. Es herrscht absolute Gänsehautstimmung. Schlag 12 fallen wir uns wechselseitig in die Arme und geniessen in rührseliger Stimmung das Feuerwerk. Sylvester packt mich emotionell einfach immer sehr. Kurz vor 2 Uhr fallen wir müde und glücklich ins Bett, tatsächlich wieder bei kompletter Stille.
Antigua ist untrennbar verbunden mit Shirley Heights, einem ehemaligem Militärstützpunkt. In jedem Prospekt, Buch oder Internetseite ist die einmalige Aussicht auf English- und Falmouth Harbour abgebildet. Als wir früh am zweiten Tag des neuen Jahres nach einem schönen Aufstieg selbst dort oben stehen, stockt mir fast ein bisschen der Atem. Traumhaft, triffts am besten. Auch die umliegenden Inseln Guadeloupe, Montserrat und Nevis haben sich für uns aus dem Morgennebel geschält. Ein umwerfendes Panorama. Daniel hat am Pigeon Beach, ganz in der Nähe unseres Ankerplatzes ein hübsches Restaurant entdeckt. Und so machen wir am Abend in Catherines Restaurant zum ersten Mal mit der leckeren Küche, aber auch mit den gehobenen Preisen Antiguas Bekanntschaft.
Insel der 365 Strände
Antigua hat 365 Strände und eine Vielzahl herrlicher Ankerplätze. Einer davon ist Carlisle Bay, wo Vaireas Anker anderntags ins glasklare Wasser und auf sandigen Grund plumpst. Zum Sonnenuntergang dringt vom nahe gelegenen Hotel ganz dezent Steelbandmusik zu uns herüber. Aber um 21 Uhr ist alles wieder vorbei und es ist doch tatsächlich auch in dieser Nacht mucksmäuschenstill. Am 4. Januar rollen wir das Vorsegel aus, unser heutiges Ziel heisst Cades Reef. Liegt in Sichtdistanz und gerade mal 4 Seemeilen entfernt.
Am Abend sind alle Ausflugs- und Charterboote wieder weg. Nur das Riff und zwei Boote. Und an Beiden weht die Schweizer Flagge. Isabelle und Peter sind mit ihrer Lady Aquamarine hier. Entsprechend gross ist die Wiedersehensfreude und wir verbringen einen schönen Abend zusammen. Überflüssig zu erwähnen, dass es direkt am Riff auch in dieser Nacht absolut ruhig ist. Seit dem 5. Januar liegen wir jetzt vor Jolly Harbour, diesem bekannten, hurrikansicheren Hafen an der Westseite von Antigua vor Anker.
Christmas Winds auf Antigua
Ursprünglich wollten wir bald weiter. Zuerst auf die Nachbarinsel Barbuda und anschliessend an die Ostseite von Antigua zurück. Doch die Christmas Winds haben sich mit einiger Verspätung doch noch auf den Weg- und uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. An ein Weitersegeln ist unter den jetzigen Umständen nicht zu denken. Seit 3 Tagen jagen immer wieder Böen mit Windspitzen von über 30 Knoten über das Wasser. Ein Hoch auf unser zuverlässiges Ankergeschirr. Das, sowie der perfekte sandige Ankergrund und die passende Wassertiefe lassen uns des Nachts trotz der oft peitschenden und heulenden Windgeräusche beruhigt schlafen. Bis heute war es auch jedem der 30 Ankerlieger in dieser grossen Bucht klar, dass ein genügend grosser Abstand zum Nachbarboot ein Muss ist. Und bei diesen speziellen Bedingungen eigentlich selbstredend. Könnte man meinen, ist aber nicht so.
Not amused
Denn da sucht doch tatsächlich am Samstag Mittag ein neu angekommener Segler Vaireas Nähe. Völlig entgeistert beobachten wir dessen Tun. An den Schläfen meines Skippers beginnt es bedrohlich zu klopfen. Dann geht’s los von „der muss doch merken, dass er da nicht ankern kann“ über „ja sag mal, was soll denn das“ bis „ich erzähle dem jetzt gleich etwas“. Den anschliessenden Wortlaut wiederzugeben, verbietet mir meine gute Erziehung. Man würde es nicht glauben, aber es braucht tatsächlich Daniels ganze Autorität und Lautstärke, bis der andere Segler kapiert, dass 30 Meter Abstand einfach grob fahrlässig sind. Merke, es kann also auch auf Antigua ganz schön laut werden.
Was für ein Wunder, dass die Crew nicht schon mit dem Dinghi auf und davon ist, füge ich später Scherzes halber an. Dann schau doch mal rüber, meint Daniel und zeigt auf das verwaiste Segelboot. Es verwundert uns auch nicht mehr, dass das Boot in der Nacht komplett unbeleuchtet ist und der Skipper völlig ungeniert und in Seelenruhe über die Reeling pullert. Doch genug der Aufreger und unschönen Momente. Das sind Gegebenheiten, die wir nicht in Erinnerung behalten wollen. Ganz im Gegensatz zu Antigua. Das ist und bleibt eine traumhafte Insel. Wir freuen uns, wenn es bald wieder losgeht mit weiteren Entdeckungen.