Jetzt ist gut, sagen wir uns als wir am frühen Morgen des 20. November bei knapp 30 Grad in Cancun in den Flieger der American Airlines steigen. Es genügt mit immer wechselnden Unterkünften in Motels, Hotels, Appartments oder Guesthouses und wir sehnen uns nach unserem eigenen Bett, das ja bekanntlich in Deltaville, Virginia auf dem Werftgelände steht. Nachts sollen dort die Temperaturen zwar bis vier Grad sinken, aber Daniel hat ja in weiser Voraussicht noch vor unserer Abreise eine Dieselstandheizung an Bord installiert. Insofern machen wir uns überhaupt keine Sorge, womöglich fröstelnd südwärts ziehen zu müssen. Planmässig hebt der Flieger ab und landet pünktlich zwei Stunden später auf dem Rollfeld von Miami. Dort müssen die Einreiseformalitäten erledigt werden, das Gepäck gefasst und für den nächsten Flug nach Norfolk wieder eingecheckt werden. Für all das bleiben uns knapp drei Stunden.
Natürlich ist auch dieses Mal die Schlange vor den spärlich besetzten Immigrationsschaltern ellenlang und die Zeit verrinnt wie im Flug. Könnte trotzdem noch reichen, meint mein Mann, als endlich wir an der Reihe sind. Im Wissen, dass unsere Papiere in Ordnung sind und wir alle Vorschriften peinlich genau eingehalten haben, gehen wir von einem kurzen Prozedere aus. Doch weit gefehlt, der Beamte in seinem Glashäuschen scheint völlig anderer Meinung zu sein. Immer wieder stellt er uns in einem ekligen, barschen Ton Fragen zu unseren Einreisen und Ausreisen, zählt mit den Fingern nach, blättert wiederholt in unseren Pässen um uns dann wieder böse anzuschauen. Und kommt dann doch tatsächlich zum völlig verdrehten Schluss, dass wir uns 18, anstatt der erlaubten sechs Monaten in den Staaten aufgehalten hätten?! Wie bitte? Ich glaube, mich verhört zu haben. Kann denn dieser Honk keine Pässe lesen?
Einreise in die USA verweigert
Doch alle Erklärungen und Bitten, die Passstempel genau zu kontrollieren oder aber die Masche mit den Tränendrüsen; völlig zwecklos. Sie werden von einem Kollegen verhört, meint er ungerührt und tatsächlich, wie gefühlte Verbrecher werden wir kurz darauf und in aller Öffentlichkeit von einem Officer abgeholt und in den hinteren Bereich der Einwanderungsbehörde geführt. Das Gefühl der absoluten Hilflosigkeit und des Ausgeliefertsein schlägt mir auf den Magen und treibt mir Tränen der Wut in die Augen. Zum Glück hat mein Captain die hinterletzten Unterlagen aufbewahrt und alle diese Papiere mit dabei. Nach der Kontrolle aller Daten sind wir ein weiteres Mal absolut sicher, keinerlei Vergehen verübt zu haben.
Der Anschlussflug ist längst weg, als Dani aus dem Wartebereich aufgerufen wird. Wiederholt zählt er auch diesem Officer unsere jeweiligen Ein- sowie Ausreisen auf. Und wieder heisst es warten! Ich schreibe unterdessen Randy, unserem Abholer aus Deltaville eine Nachricht, dass der Flieger um 18 Uhr ohne Tschudins in Norfolk landen werde und wir noch keine Ahnung haben, wie es weitergeht.
Nach einer Stunde höre ich den untrüglichen Klang eines Stempels! Und tatsächlich, die Hoffnung hat mich nicht getäuscht. Der Officer kommt mit zwei roten Pässen auf uns zu, reicht sie Daniel und murmelt etwas von „alles gut, sie können einreisen“. Wie bitte?? Das war’s? Keine Erklärung, keine Entschuldigung, rein gar nichts?? Ich kenne ja meinen Mann weiss Gott bestens und kann mit geschlossenen Augen erkennen, dass er dem Beamten am liebsten ans Gurgeli springen würde. Im Wissen, dass dies eine ganz schlechte Idee wäre, reisst er sich zum Glück zusammen. Den Grund für dieses Theater möchte er bitte schön erfahren und wer jetzt für unseren verpassten Anschlussflug aufkomme. Des Officers lapidare Begründung ist so simpel wie unglaublich! Zweimal hat die US Customs and Border Protection doch tatsächlich vergessen, einen Eintrag im System vorzunehmen.
Unvollständige Daten im Computer der CBP
Es fehlte die Ausreise aus den US Virgins vom 8. Juni 2020 und dann wieder unsere Einreise in Charleston am 27. Mai 2021. Und so kommen anstatt der korrekten fünf Monate Aufenthalt auf amerikanischem Boden fälschlicherweise 18 Monate zusammen. Eine Entschuldigung? Fehlanzeige! Unser verpasster Flug? Gehen sie an den Schalter der American Airlines, die wissen Bescheid wo sie waren. Wir finden unsere drei Koffer verwaist neben dem Gepäckband vor und machen uns auf Richtung Fluggesellschaft. Thanksgiving steht bevor und praktisch alle Flüge sind ausgebucht, aber für heute Abend 21 Uhr könnte ich Ihnen ohne Kostenfolge zwei Plätze anbieten, meint der freundliche Herr. Aber natürlich, wir schlagen dankbar zu. Ankunft Mitternacht, da wird Randy unser Abholer bestimmt nicht mehr für eine Fahrt zu bewegen sein. Von wegen, aber natürlich komme ich Euch holen schreibt er mir zurück. Und wir sprechen hier von Total vier Stunden Fahrzeit!
Völlig übermüdet und immer noch aufgewühlt kommen wir um drei Uhr in der Nacht in der stockdunklen Stingray Point Werft an. Es bläst ein strammer Wind und im Inneren von Vairea ist es bitterkalt. Dani versucht die Heizung anzuwerfen, leider erfolglos. Das Problem wird sich morgen bestimmt lösen lassen, meint er zuversichtlich während ich schlotternd die Wärmeflaschen unter die klammen Bettdecken stecke. 48 Stunden später sinken die Temperaturen in der Nacht immer weiter in den Keller und alle Bemühungen meines tapferen Captains, die Heizung zum Laufen zu bringen schlagen fehl. So richtig angepisst wirft er das Teil am 22. November über Bord. Also, doch fröstelnd südwärts ziehen.
Der liebenswürdige Randy fährt uns anderntags für den Gross-Lebensmitteleinkauf nach Gloucester und ich würde am liebsten nicht mehr aus seinem herrlichen warmen Auto aussteigen. Im wohlsortierten Walmart kaufen wir uns einen 110V Lüfter, den wir mit dem dazugehörenden Kabel betreiben können.
Zurück ins Element mit der Aussicht fröstelnd südwärts zu ziehen
Und so wird die letzte Nacht auf dem Hard einigermassen erträglich. Am 24. November um 10 Uhr fährt der Travellift vor und hebt unsere Lady in die Gurten. Schon beim Herausheben trieb uns das enge Becken den Schweiss auf die Stirn. Denn schon damals waren nur ein paar Zentimeter Luft zwischen Beckenrand und Vairea. Jetzt beim Einwassern verfängt sich zu allem Elend beim Lösen eine der Gurten im Ruder und Vairea mit ihren 23,6 Fuss Breite stösst an einer Seite des engen Beckens an. Stingray Point Boat Works macht Werbung, dass sie Katamarane bis 24 Fuss Breite rausholen. Das erachten wir nach unserer Erfahrung als völlig unrealistisch. Mehr als 22 Fuss sind schlicht nicht machbar. Bis auf ein paar Kratzer ist Vairea zum Glück unversehrt und die werden anschliessend von einem Werftangestellten umgehend wegpoliert. Eine Nacht noch bleiben wir am Dock der Werft, können wir doch dort unseren Heizlüfter betreiben.
Wir sind unterdessen mit knirschenden Zähnen zur Einsicht gekommen, dass wir ohne funktionierende Heizung mindestens einen Monat zu spät soweit nördlich unterwegs sind. Dumm gelaufen, aber nicht mehr änderbar. Also gibt es keine Alternative als fröstelnd südwärts zu ziehen. Aber auch wenn wir am liebsten schon im warmen Florida wären, wissen wir doch beide, dass die anstehende 210 Seemeilen lange Etappe nach Cape Lookout ein Meilenstein ist. Die Rundung von Cape Hatteras ist und bleibt eine Hausnummer, die umsichtig und genau geplant sein will. Richtig warm ums Herz wird es mir dann, als der Captain das Resultat seines gründlichen Wetterstudiums mitteilt. Nach eher düsteren Tagen lacht das Glück in Form des fast perfekten Wetters für die anstehende grosse Etappe und das bereits in zwei Tagen! Seit langem singe ich wieder beim kochen und auch die acht Stunden gegenan holpern anderntags nach Hampton, unserem Absprungort kann meiner Vorfreude keinen Abbruch tun.
Fröstelnd südwärts ums Cape Hatteras nach Beaufort
Und dann bricht er an, der 26. November. Um 10 Uhr gibt der Captain das Zeichen zum Aufbruch, North Carolina wir kommen. Nach vier Stunden segeln haben wir den Nordatlantik erreicht und werden wieder einmal von Delphinen begrüsst. Unser primäres Ziel ist, Cape Hatteras bei Tageslicht zu runden, die Ankunft in Cape Lookout ist eher sekundär. Zum einen ist die Bucht dort riesig und wir können unserem Track vom Juni folgen. Die Wetterprognosen stimmen perfekt, die Sonne wärmt das Innere von Vairea bis 25 Grad, Wind in den Böen bis 30 Knoten und Wellen von achtern bescheren uns 130 Seemeilen wundervolles segeln. Wie von Daniel geplant, erreichen wir das gefürchtete und berüchtigte Cap exakt zu Tagesanbruch und können mit dem schiebenden Strom auf Kurs Cape Lookout wechseln. Dieser ist mit Seitenwellen nicht mehr so angenehm, aber genau so schnell und juhuu auf dem Plotter erscheinen immer neue, frühere Ankunftszeiten.
Wie vorausgesagt, beruhigen sich ab 15 Uhr Wind und Wellen und am Abend queren wir bei ruhiger See und flautigem Wind die Shoal vor Cape Lookout, bevor dann der Anker um 20 Uhr hinter zwei bereits vor Anker liegenden Segelbooten ins Wasser fällt. Eine Ansteuerung bei Dunkelheit ist immer tricky und anspruchsvoll, selbst mit vorhandenem Track. Entsprechend müde fallen wir nach genauer Kontrolle aller Systeme mit drei Wärmeflaschen ins Bett. Ich kann meinen Captain nicht genug für sein geniales Wetterrouting loben und hochleben lassen. Oscarverdächtig!! Nach einer Nacht draussen an diesem schönen Platz liegen wir wieder bei Beaufort vor Anker.
Willkommen in Beaufort
Fast so etwas wie ein Gefühl des Nachhausekommens beschlich mich hier. Das hängt aber auch mit unserer Freundin Dianne zusammen, dem Port Officer des OCC Clubs, die uns gleich wieder so warm empfängt wie vor fünf Monaten. Es fühlt sich fast so an, als wären wir nie weggewesen, als wir uns zusammen mit ihr und mit Karen und Dave von der SY New Destiny zum Pizzaschmaus treffen. Heute sind wir bei ihr Zuhause eingeladen und ich darf meine Schmutzwäsche mitbringen. Und wieder: glücklich, wer solche Freunde hat! Und dann hoffe ich, dass es bald ein Ende nimmt mit diesem fröstelnd südwärts ziehen.
Sehr spannend geschrieben und aufregend, mit fiebernd zu lesen. Freut uns, dass es euch so weit gut geht. Wir wünschen euch eine gute Weiterfahrt Richtung wärme.
Liebe Grüsse aus der Kälte
Vielen Dank ihr Lieben für die Blumen und die guten Wünsche, die wir südwärts mitnehmen! Wir wünschen Euch eine schöne und entspannte Adventszeit und ganz viel Wärme im Herzen.
Also das bei der Einreise war ja echt ein Krimi, ich kann mir vorstellen wie Euch zumute war. Und dann hat sich noch nicht einmal jemand entschuldigt. Unfassbar…
Ein ganz übles Gefühl war das, dieses Ausgeliefertsein. Und vermutlich wären diesen Herren eher ein paar Zacken aus den Kronen gefallen, als sich bei uns zu entschuldigen.
Aber das ist jetzt vorbei und wir schauen wieder ganz positiv vorwärts. Euch ganz liebe Grüsse nach St. Martin und eine frohe Vorweihnachtszeit!
Heya ihr zwei, toller und interessanter Bericht. Und wenn es dann gut zu Ende geht, noch besser! Wünsche euch weiterhin gutes Segeln in wärmere Gefilde und frohe Festtage.
Hier ist wieder einmal der Bär los mit diesem leidigen Corona. Wollte am 16. 12. mit Oberchampfer Walti Egli nach Berlin. Denke wird wohl nichts. 2 PCR Test‘s zur Rückreise ist mir dann doch zu viel für 4 Tage Ferien.
An 1. Februar wird es hoffentlich besser sein beim Abflug nach Santo Domingo. Nach eurer Geschichte an der Immigration bin ich froh via Spanien und nicht über die USA gebucht zu haben.
Beste Grüsse Werner
Lieber Werner, wir freuen uns von Dir zu hören und danken ganz herzlich für die guten Wünsche. Wir unsererseits hoffen, dass Du problemlos in die wunderschöne Dominikanische Republik einreisen kannst und sind sicher, dass Du tolle Tage geniessen wirst! Wir grüssen Dich und Deine Lieben herzlichst und wünsche Euch wunderschöne Weihnachtstage