Dreimal französisch

„Wo bleibst Du denn?“ tönt es schon kurz vor 8 Uhr aus dem Cockpit. Wir ankern vor St. Louis, an der Westküste von Marie-Galante. Es ist der 16. Dezember und der jetzt so ungeduldig rufende Skipper hat heute einen Mietwagen gebucht. Mir ist der Grund für seine Unruhe natürlich sonnenklar. Weiss ich doch, dass diese zu Guadeloupe gehörende Insel im Ruf steht, ein – wenn nicht sogar DAS Rumparadies zu sein. Ja es wird sogar vom weltbesten Rum gesprochen. Ein Auslassen dieses zu Frankreich gehörenden Eilandes wäre daher vermutlich einer Majestätsbeleidigung gleichgekommen. Ich bin ja gespannt, ob sich die Lobpreisungen und Vorschusslorbeeren bewahrheiten, als wir um exakt 9 Uhr bei der ersten Distillerie vorfahren. Vier Stunden und drei Brennereien später scheppern dezent vier Flaschen im Kofferraum und am Steuer strahlt ein Skipper über alle vier Backen.

Rumdistillerie Labat auf Marie-Galante
Rumdistillerie Labat auf Marie-Galante

Marie-Galante

Ich freue mich darauf, auch noch anderes wie zischende Maschinen, dampfende Kessel, gepresstes Zuckerrohr zu sehen und Rum zu riechen. Der Hauptort Grand Bourg ist quirlig, bunt und vermag uns sehr zu gefallen. Der Ort steht im kompletten Gegensatz zu St. Louis. Dort sind viele der Häuser im Zentrum verfallen oder schauen zumindest morbide aus. Und mit Ausnahme von ein paar Restaurants waren meist die Rollläden heruntergelassen. Alte Zuckerplantagen wie die Habitation Muralt und Roussel Trianon liefern Zeugnis längst vergangener Geschichte. Uns amüsiert der Umstand, dass wir bei unserer Inselumrundung sozusagen über flaches Land fahren. Wieder einmal kilometerweit sehen können. Nach den vielen steilen und gebirgigen Inseln in letzter Zeit eine schöne Abwechslung.

Habitation Muralt und Roussel Trianon
Habitation Muralt und Roussel Trianon

Bei der Rückkehr erwartet uns eine freudige Überraschung. Neben der Vairea ist die Prana Cat mit unseren Freunden Monica und Dominique vor Anker gegangen. Und so enden zwei schöne Tage auf dieser etwas verschlafenen, unaufgeregten Insel mit einem gemeinsamen Sundowner.

Îles Les Saintes

Kurz nach 9 Uhr heben wir anderntags den Anker. Es ist reichlich Wind angesagt für die Strecke nach den Les Saintes Inseln, unserer zweiten französischen Destination. Wie immer bei solchen Vorhersagen setzten wir das Grosssegel im 2. Reff. Etwa in der Mitte werden wir von heftigen Squalls eingeholt. Regen prasselt auf uns nieder und der Windmesser kratzt an der 40 Knoten Marke. Wir verkleinern die Genua um 40 Prozent und reiten unserem Ziel völlig klatschnass und mit über 11 Knoten entgegen. Nach einer guten halben Stunde ist der Spuk vorbei und wieder unter normalen Bedingungen erreichen wir die nördliche Einfahrt.

Ankerplatz vor Bourg des Saintes
Ankerplatz vor Bourg des Saintes

Die Festmacher sind angeschlagen und der Skipper hat die passende Boje im Visier. Ich stehe mit der Leine bereit. Will eben nach dem Bootshaken greifen, als mir das dumme Ding entgleitet und ins Wasser plumpst. Wenns läuft, dann läufts. Es hilft weder jammern noch zetern. Also Badeleiter runter, dasselbe mit den Klamotten und mit einem beherzten Sprung setze ich dem davondriftenden Bootshaken nach. Daniel nimmt mich samt Bootshaken kurz darauf wieder an Bord. Nass wie ein triefender Pudel mache ich Vairea anschliessend an der Boje fest.

Bourg des Saintes

Bourg des Saintes
Bourg des Saintes

Völlig problemlos gestaltet sich dafür der erste Besuch im kleinen Hauptort der Insel. Bourg des Saintes erinnert mich an eines der hübschen Dörfer in Südfrankreich. Souveniergeschäfte reihen sich an kleine Restaurants, Cafés und Boutiquen. Der Vergleich mit einem etwas überdimensionierten Puppenhaus drängt sich auf. Leider auch einem Überfüllten. Denn zu den unzähligen Kreuzfahrttouristen gesellen sich noch jene Besucher, die mit einer der zahlreichen Fähren von Guadeloupe herübergekarrt werden. Oft ist dann in den kleinen Gässchen kaum ein Vorwärtskommen. Doch nach 17 Uhr ist der Ort meist wieder in der Hand der Segler oder der Feriengäste, die in einer der vielen Pensionen der Insel untergebracht sind.

Fort Napoléon
Fort Napoléon

Da der Schwell aufgrund des Südwindes sehr unangenehm ist, treibt es uns am 18. Dezember bereits sehr früh aus dem Bett. Wandern beim weichen Morgenlicht hoch zum Fort Napoléon und geniessen von oben eine herrliche Aussicht auf die Ankerbucht, die verschiedenen kleinen Inseln und hinüber nach Guadeloupe, unserem nächsten Ziel.

Guadeloupe

Île de Cochon und ACTE
Île de Cochon und ACTE

Am 20. Dezember plumpst der Anker nach knapp 8 Stunden segeln hinter der Île de Cochon ins trübe Wasser von Guadeloupe. Der Blick auf die Stadt Point-à-Pitre, die hellerleuchteten Hafenanlagen und die davor festgemachten Kreuzfahrtschiffe ist etwas gewöhnungsbedürftig. Zu Fuss machen wir uns anderntags auf, die Stadt zu erkunden. Der erste Weg führt uns ins ACTE. Das phänomenal gestaltete Museum liegt direkt am Wasser. Das Eisengebilde erinnert mich vom Äusseren her an Birds Nest, Pekings Nationalstadion. Die Ausstellung zum Thema Sklaverei in der Karibik ist beeindruckend, wenn auch quantitativ etwas überfordernd. Die Stadt selbst ist quirlig und bietet eine grosse Vielfalt. Von Häuserzeilen mit morbidem Charme über viel Graffitikunst bis zu modernen, gestylten Läden. Von grossen Lebensmittelgeschäften über Foodstände entlang der Strassen bis zum Bauern-Gemüsemarkt ist alles vertreten. Wir freuen uns auf mehr, als wir am Sonntag unseren Mietwagen am Flughafen übernehmen.

Pointe-à-Pitre
Pointe-à-Pitre

Basse-Terre der linke Flügel von Guadeloupe

Plage de l’Anse Rifflet mit Kassaverie
Plage de l’Anse Rifflet mit Kassaverie

Guadeloupe hat die Form eines Schmetterlings. Der linke Flügel ist Basse-Terre, gebirgig und vulkanisch. Der rechte Flügel ist Grande-Terre, relativ flach, besteht hauptsächlich aus Kalkstein und beherbergt einige der bekannten Touristenorte. Was die beiden Inseln aber eint, ist die Grösse. Da ist nichts mit einmal schnell umrunden wie noch Marie-Galante. Wie beim Essen picken wir uns zuerst die Rosine raus: den Nordteil von Basse-Terre. Fast leere Sandstrände in einem noch nie gesehenen Goldton treffen wir an. Liebliche Dörfer, farbige Strandbars und als Krönung am Plage de l’Anse Rifflet doch tatsächlich eine Kassaverie. In Déshaies streifen wir durch das hübsche Städtchen und geniessen anschliessend den wunderschönen botanischen Garten. Für den Rückweg wählen wir die Transversale. Diese Strasse führt durch den Nationalpark von Guadeloupe und von der Westseite an die Ostseite von Basse-Terre.

Botanischer Garten bei Déshaies
Botanischer Garten bei Déshaies

Auch auf Guadeloupe wird Zuckerrohr angebaut und ganz zufälligerweise gibt’s auch Rumdistillerien auf der Insel. Eine davon befindet sich im Süden von Basse-Terre. Und natürlich führt unser nächster Ausflug dorthin. Überflüssig zu erwähnen, dass es auch nach dieser Besichtigung wieder dezent im Kofferraum klappert. Eines der Insel-Highlights sind die vielen Wasserfälle und 2ème Chute de Carbet soll gemäss Beschreibung relativ mühelos zu erreichen sein. Da mein Verhältnis zu Wasserfällen und Wasserläufen seit dem Unfall gespalten ist, kommt nur noch ein einfacher und problemloser Zugang in Frage. Das scheint aber nicht nur mir so zu gehen. Und so reihen wir uns in die Schlange von unzähligen Touristen ein, die wie wir ein Bild von den tosenden Wassermassen erhaschen wollen.

Chute du Carbet
Chute du Carbet

Weihnachten auf Guadeloupe

Es ist 24. Dezember geworden, Heiligabend. Was für ein riesiger Unterschied, meine ich zu Daniel, als ich unsere Vairea weihnächtlich dekoriere. Vor einem Jahr da waren wir auf Martinique. Ich im Rollstuhl, nahezu bewegungsunfähig. Und jetzt, 365 Tage später sind wir auf Guadeloupe, wieder auf einer französischen Insel. Aber jetzt laufe ich! Vielleicht nicht mehr so flüssig und locker wie noch vor dem Unfall, aber doch ganz passabel. Das beste Weihnachtsgeschenk. Dass an einem Feiertag weniger Leute auf den Strassen unterwegs sein könnten, erweist sich als völlig irrige Annahme. Und so geht’s für uns am Nachmittag zwischen Le Gosier und St. François im Süden von Grande-Terre meistens nur im Schritttempo voran. Daniels Mine verfinstert sich zusehends. Doch all seinen Befürchtungen zum Trotz erreichen wir die Rumdistillerie Damoiseau noch rechtzeitig. Dass es dieses Mal ruhig bleibt im Kofferraum, hat daher nur mit Capitanos exquisitem Geschmack zu tun.

Südküste von Grande-Terre
Südküste von Grande-Terre

Zwei als leicht taxierte Wanderungen im Nationalpark wecken unser Interesse und daher schnüren wir am Weihnachtstag bereits sehr früh unsere Laufschuhe. Doch leider hat Regen den Weg dermassen ausgewaschen, dass es eine steile Kletterpartie über glitschige Wurzeln würde. Wir brechen frühzeitig ab und finden stattdessen am favorisierten Nordteil von Basse-Terre eine wundervolle Wanderung entlang der goldgelben Strände. Im Restaurant Blueberry in der Marina geniessen wir bei strahlendem Sonnenschein und immer noch knapp 30 Grad ein feines Weihnachtsmenue, bevor es zurück auf die Vairea geht. Tags darauf spucken Monica und ich in die Hände. Bei vielen leckeren Schweinereien geniessen wir einen letzten, fröhlichen Abend in freundschaftlicher Runde.

Stephanstag auf Guadeloupe mit Monika und Dominique
Stephanstag mit Monica und Dominique

Déshaies

Ankerplatz vor Déshaies im Nordwesten von Guadeloupe
Ankerplatz vor Déshaies

Am 28. Dezember fällt der Anker nach einem langen Segeltag in der Bucht von Déshaies in den sandigen Grund. Wir wollen das gute Wetter für nach Antigua am 30. Dezember packen und klarieren darum am Abend gleich aus. Für unseren letzten Tag auf Guadeloupe montieren wir am 29. Dezember noch einmal unsere Laufschuhe. Ziel der finalen Wanderung ist die riesige Grande Anse Bucht. Für den Hinweg wählen wir die einfache Route um den Berg herum. Der Rückweg aber führt uns zackig auf den Gros Morne. Steil geht der Weg hinauf und auf der anderen Seite ebenso wieder herunter. Unsere ganze Konzentration und Kondition wird dafür gefordert. Die Aussicht auf den Grand Anse Beach macht auch dieses Mal alle Strapazen wett.

Über den Gros Morne an die Grand Anse auf Guadeloupe
Über den Gros Morne an die Grand Anse

Wir sind uns einig: Dieses französische Inseltrio ist spannend. Besonders Guadeloupe ist eine tolle, vielfältige Natur-Insel. Und der nördliche Teil von Basse-Terre hat uns mit seinen langen, menschenleeren Stränden, seiner unberührten Natur und den hübschen, kleinen Dörfern ganz besonders begeistert.

SY Vairea auf Guadeloupe, Marie-Galante und Les Saintes

Unsere Reise im Überblick & Unsere Schatzkiste

2 Kommentare zu „Dreimal französisch“

  1. Graziella Schaffer

    Liebe Martina
    Lieber Daniel
    Es ist immer sehr spannend eure Reiseberichte zu lesen.
    Man kann sich so gut reinversetzten und in Stimmung bringen. Ich bin ja auf das Buch gespannt das ihr mal schreiben werdet!!!
    Ich freue mich auf die nächsten Abenteuer und sage Tschüss bis dann

    Eure Freundin Graziella

    1. Herzlichen Dank liebe Graziella. Wie schön, dass Du Freude an den Berichten hast und auf diesem Weg mit uns reist. Bis zum nächsten Abenteuer grüssen Dich Deine Freunde

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