Aha, die nächsten Tage bläst er also, murmelt mein Captain beim täglichen Wetterstudium. Jetzt ist er da, der Südwind, der die Yachten zügig von den Bahamas Richtung Norden bläst. Ich ahne, was nun folgt und werde nicht enttäuscht. Hätten wir doch noch etwas gewartet auf Grand Bahama, will er eben zur Lektion an die Mannschaft ansetzen. Dann wären wir nicht in Charleston gelandet, falle ich ihm subito ins Wort. Und schachmatt in einem Zug. Machtlos ist er gegen mein Argument, denn ihm haben die Tage hier mindestens genauso gut gefallen wie mir. Wobei wir uns so gar nicht sicher sein konnten, ob uns diese Kleinstadt auch beim wiederholten Besuch begeistert. Es konnte und wie! Und so wurde unser erstes Ziel in den Vereinigten Staaten zum optimalen Glücksgriff.
Dass die Stadt so sehr Fussgänger- und Fahrradfreundlich ist, hatte ich nicht mehr auf dem Radar. In Europa völlig normal, für Amerika schlicht ungewohnt: wir laufen in knapp dreissig Minuten von der City Marina in die Altstadt! Zu Fuss und das durchgehend auf einem Gehsteig. Genuss hoch drei. Wobei ja schon der Weg ein Vergnügen ist. Denn in Charleston müssen kluge und umsichtige Städteplaner am Werk sein. Denen bewusst ist, dass ein intaktes Stadtbild nicht unwesentlich zum Erfolg beiträgt und die Touristen gerade deswegen so gerne kommen. Ein Haus schöner als das Andere, gepflegte Gärten und überall flackernde Leuchten, die vermutlich an die Zeit der alten Gaslaternen erinnern sollen. Gelebte Geschichte und Südstaatenromantik pur.
Charleston – ein Glücksgriff
Wir lassen uns durch die vielen Gassen und Nebengässchen rund um die bekannte King Street treiben. Die etwas in die Jahre gekommenen Turnschuhe leiden allerdings so sehr, dass sie schon nach kurzer Zeit einem neuen Paar weichen müssen. Überflüssig, hier von einem Übel zu sprechen. Denn was für Männer der Gang in den Baumarkt oder Ship Chandler, ist für Frauen ein Streifzug durch einen Schuhladen. Wenn dann die Kehle trocken wird oder der Magen knurrt, kehren wir in eine der zahlreichen Kneipen oder Bistros ein. Überall in der Stadt und in den zahlreichen Parks finden Aufführungen und Musikdarbietungen statt. Was für eine positive Überraschung, dass das Spoleto-Festival auch in diesem Jahr stattfindet. Und was für ein Segen für all die Künstler, Kunsttreibenden und Veranstalter.
Wenn ihr authentische Südstaatenküche geniessen wollt, kehrt im Poogan’s Porch ein, lautet ein Insider-Tipp. Zum Glück haben wir eine Reservation hinterlassen, das Lokal ist brechend voll. Krabbensuppe, Lammfleisch, Okraschoten in vielerlei Zubereitung, Grit, eine Art Maisbrei und dazu Shrimps schlemmen wir. Eine zwar einfache aber sehr leckere und ehrliche Küche, sind wir uns zwei Stunden später einig, als wir schwer an unseren vollen Bäuchen zu schleppen haben. Äusserst hilfreich sind die dreissig Minuten Fussmarsch. Das sollte reichen für die Verdauung, stöhnen wir.
Obwohl der Ankerplatz so zentral gelegen ist und sich gleich dahinter eine stark befahrene Highway-Brücke über den Fluss spannt, geniessen wir die nächtliche Ruhe. Das einzige Geräusch, das ab und zu die Stille unterbricht, sind Rotorengeräusche. In Sichtdistanz landen und starten die Helikopter auf dem Dach des grossen Spitals. Und mir ziehen sich dann jedes Mal vor Mitgefühl die Innereien zusammen. Denn da werden Kinder in das riesige Shawn Jenkins Klinikum gebracht. Glück und Leid liegen manchmal so nahe beieinander.
Impfung gegen Covid hoffentlich ein Glücksgriff
Gehört haben wir schon davon, wie einfach die Covid-Impfung in den USA funktioniert. Gepikst wird in einer der vielen Apothekenketten. Entweder man vereinbart online einen Termin oder man läuft einfach hinein. Gratis ist die Impfung, für alle und jeden der sie will. Die noch Ungeimpften will man mit besonderen Anreizen für einen Glücksgriff zur Spritze bewegen. Es locken Lottogewinne und wertvolle Sachpreise, lesen wir. Mit der Impfung glauben wir, in Zukunft wieder überall normal hinreisen zu können. Und so sind am Sonntagnachmittag wir dran. In einer der vielen CVS-Filialen bekommen wir die erste von zwei Moderna-Impfungen. Der Einstich ist völlig schmerzlos und mein robuster Captain verspürt keinerlei Nebenwirkungen. Im Gegensatz zur etwas zart besaiteten Bordfrau, die doch mit rechten Gelenkschmerzen zu kämpfen hat. Doch so wie sie kamen, so verschwinden sie nach zwei Tagen zum Glück auch wieder.
Absolut erfolglos bleibt meine Internetrecherche, ich finde einfach keinen Lebensmittelladen in einigermassen annehmbarer Gehdistanz. Wir wollen schon auf den Dienst von Uber zurückgreifen, als wir in der City-Marina hören, dass sie einen täglichen, kostenlosen Shuttledienst zum nächsten Shopping-Center anbieten. Ja aber, wir sind doch gar keine Gäste der Marina? Das ist unwichtig, das grosszügige Angebot gilt für Alle. Und so lassen wir uns am Dienstagmorgen zu Harris Teeter fahren. Nach unzähligen, abstinenten Tagen falle ich vor Begeisterung fast um. Was für ein Angebot! Frische, deliziöse Lebensmittel in Hülle und Fülle! Leckerbissen soweit das Auge reicht, so dass uns innert kürzester Zeit das Wasser im Mund zusammenläuft.
Weiterfahrt nach Beaufort
Und das Meiste zu viel budgetschonenderen Preisen als noch vor ein paar Wochen. Hochzufrieden und mit drei Säcken voller Fressalien lassen wir uns zwei Stunden später wieder im Marina-Van zurückfahren. Damit lässt sich der nahende Abschied von dieser herrlichen Stadt hoffentlich etwas besser ertragen. Denn übermorgen, am 3. Juni wollen wir wieder etwas vorankommen. 200 Meilen nördlich liegt mit Beaufort unser nächstes Ziel. Es blüht uns wieder einmal eine Nachtfahrt. Aber wir sind nach diesem Glücksgriff mit Charleston so unglaublich erholt und tiefenentspannt, dass wir diese kleinere Strapaze bestimmt auf einer Pobacke absitzen werden.
Ihr Lieben
So lustig wie ausgehungert wir uns auf die frischen Lebensmittel stürzen. 2 Monate Bahamas. Eine Schule für’s Leben. Ich werde in Zukunft immer einen Knicks machen vor den proppenvollen Gemüseregalen
Ihr Lieben
Was für eine gute Idee, die mit dem Knicks. Und wie die gemüsedarbende Zeit auf den Bahamas zwischen der Dominikanischen Republik und den USA eine Lebensschule war. Ganz herzliche Grüsse auf die Lille-Venn
Harris Teeter in Charleston, das war unser Traum Supermarkt, nach Cuba und einem Stop Over in Miami endlich wieder einmal ausgiebiges Einkaufen! Wir lagen damals in der Cooper River Marina, weit weg aber dafür deutlich günstiger, wenn ich euren Blog lese, hätte sich aber das Ankern vor der City Marina gelohnt.
Wollte euch noch unsere Liste mit den Liege- und Ankerplätzen von der Ost Küsten senden – an welche Adresse?
Lieber Gruss
Dominique Ramelet
Hallo Dominique, dann erlebten wir ja dasselbe mit Charleston und Harris Teeter! Es war auch für uns ein Traum.
Wir danken Dir schon herzlich für die Liste und freuen uns darauf. Bitte gerne auf aboard@vairea.ch
Ganz liebe Grüsse