Nach einer Schleife über dem Kanton Aargau setzt der Swissflieger sanft und fast pünktlich auf der Landebahn in Zürich auf. Während der Maitre de Cabine über den Lautsprecher die üblichen Informationen herunterrattert, starre ich ziemlich verdutzt auf mein Handy. Denn fast im Minutentakt ploppen da Nachrichten von Familie und Freunden auf. «Konntet ihr überhaupt landen?», «Meldet Euch sofort, wo auch immer wir Euch abholen können» oder «Ihr habt Euch leider einen ganz schlechten Tag für die Ankunft ausgesucht» lese ich und kann mir so gar keinen Reim über die sorgenvollen Botschaften machen. Bis wir die fast endlose Schlange Wartender vor den zahlreichen Einreiseschaltern sehen!
Ein Angestellter erklärt uns auf Nachfrage, dass am Morgen alle Systeme der Flugüberwachung ausgefallen sind, der Flughafen während Stunden geschlossen war und die ankommenden Flugzeuge auf andere europäische Flughäfen umgeleitet wurden. Unser Chicago-Flug muss also mit einer der ersten gewesen sein, der wieder planmässig landen konnte. Wow, Glück muss man haben! Völlig überforderte Flughafenangestellte sind bemüht, Ordnung in das Chaos zu bringen, während Dani mich an der Hand nimmt und uns vorbei an den Wartenden Richtung der automatischen Einreiseschalter zirkelt. Denn Schweizer Nationalität sei Dank können wir bei diesen Durchgängen ohne Verzögerung und problemlos einreisen.
Traurige News in Zürich
Während ich mir etwas Ruhe und einen Kaffee gönne, macht sich Daniel mit der Bahn auf Richtung Zürich. Unsere Schwägerin Jessica hat uns grosszügigerweise ihren fahrbaren Untersatz zur Verfügung gestellt und den holt Daniel jetzt ab. Bereits einige Tage vor unserem Abflug aus den USA vernahmen wir mit Schrecken vom Segelunfall von lieben Bekannten, die sich auf dem Weg von den Bermudas nach Halifax befanden. Wie auch Daniel war ich der festen Überzeugung, dass dieses Unglück einfach gut ausgehen müsste. Handelte es sich bei der Escape doch um eine unglaubliche gute, stabile und perfekt gewartete Yacht mit einer sehr erfahrenen Mannschaft.
Als ich jetzt am Flughafen Zürich unter Tränen lesen muss, dass Annemarie und Volker es nicht geschafft haben, sondern beim Unfall ihr Leben lassen mussten, zieht es mir beinahe den Boden unter den Füssen weg. Ich kann und will das Gelesene einfach nicht glauben. Unterdessen ist Daniel zurück und auch ihn macht die Nachricht sprachlos. Immer wieder lese ich die letzte WhatsApp-Nachricht von Annemarie in der sie mir nur zwei Tage vor der Tragödie schreibt, wie sehr sie sich über unser baldiges Wiedersehen freut. Wir werden Annemarie und Volker nicht vergessen und mich tröstet der Gedanke etwas, dass in Zukunft die Beiden von oben auf uns Segler achten werden.
Schöne Wochen in der Ostschweiz
Die kommenden zwei Wochen dürfen wir auch in diesem Jahr wieder bei Heinz und Graziella in ihrem schönen Haus in Stettfurt wohnen. Ein weiteres Mal rücken unsere Freunde selbstlos zusammen und teilen mit uns Zeit und Platz. Von Herzen dankbar geniessen wir schöne Stunden zusammen und sind noch so froh, wenn wir uns bei ihnen mit Hunden und Haus hüten oder Pflanzen giessen wenigstens etwas erkenntlich zeigen können.
Enkelkinder hier
Während Dani das Wochenende mit seinen beiden Buddys Heinz und Bruno geniesst, fahre ich mit klopfendem Herzen nach Zürich. Ich bin fürchterlich aufgeregt, habe ich doch ein Rendez-Vous mit einem Mann. Knapp 3,5 Kilo schwer und 51 cm gross ist er. Hört auf den schönen Namen Henry, ist mein Enkel und das mit Abstand schönste Baby der Welt! 48 Stunden lang schwelge ich ununterbrochen im verliebten Oma-Modus mit knuddeln, schmusen, wickeln und schöppeln. Ich kanns kaum erwarten, Tochter und Enkel wiederzusehen, als ich mich am Sonntagabend wieder Richtung Stettfurt aufmache.
Bei unseren Freunden Susi und Bruno verbringen wir einen schönen Abend mit feinem Essen und guten Gesprächen. Am darauffolgenden Sonntag ist Bünzli-Familientag im Luzernischen. Mein grosser Bruder Tomas und seine Frau Judith tischen zu einem herrlichen Brunch auf und zusammen mit meinem jüngeren Bruder Matthias und seiner Frau Jessica geniessen wir wunderschöne Stunden. Im Wissen, dass es nicht selbstverständlich ist, bin ich einfach nur unglaublich dankbar, dass sowohl wir drei so unterschiedlichen Geschwister wie auch unsere jeweiligen Partner*innen uns so zugetan und tief verbunden sind!
Enkelkinder dort
Und endlich sind dann auch unsere beiden älteren Enkel Yuri und Milli wieder gesund und wir können die Beiden, meinen Sohn und seine Frau in ihrem Zuhause in Zürich in die Arme schliessen. Wir staunen, wie gross die Zwei geworden sind und natürlich klappt es mit einem gemeinsamen Zoobesuch, versprechen wir Yuri, bevor wir uns am Abend wieder Richtung Ostschweiz aufmachen.
Ein Tag nur mit meiner Freundin verbringen war mir ein besonders Anliegen. So ziehen wir kichernd wie damals vor 30 Jahren los Richtung Konstanz. Die unbeschwerten Stunden zusammen tun uns richtig gut und ich geniesse dieses schöne Gefühl, dass wir uns grad sehr nahe sind. Ein letztes gemeinsames Nachtessen am See mit Heinz und Graziella, dann heisst es Abschied von den Freunden nehmen. Von ganzem Herzen Dank für Eure Zeit und die Gastfreundschaft, die ihr uns in so grosszügiger Art geschenkt habt! Es ist Alles, nur nicht selbstverständlich.
Umzug nach Zürich
Mit Sack und Pack ziehen wir für die letzten vier Wochen Heimataufenthalt nach Zürich-Wiedikon. Wir dürfen die liebgewordene Wohnung meines Bruders Matthias benutzen. Bevor er mit seiner Familie in die wohlverdienten Sommer-Ferien abdüst, verbringen wir zusammen einen wunderschönen Abend in einem dieser vielen, lauschigen Gartenrestaurants in der City. Ihr habt uns einfach Wohnung und Auto überlassen, tausend Dank Euch Beiden!! Glück ist, wem so viel Grosszügigkeit widerfährt.
Am 4. Juli muss ich wieder einmal im Universitätsspital Balgrist antraben. Ziel ist fundiert abzuklären, was mir während den letzten Wochen in den Bahamas die Nackenschmerzen versursachte. Mein Herzklopfen wegen des MRI war völlig überflüssig. Ich bekunde zum Glück keine Probleme mit der Enge und witzle, dass ich ohne den Lärm vermutlich eingeschlafen wäre. Entgegen der Ärztebefunde in den USA und Bahamas liegt kein Bandscheibenvorfall vor, aber ihre Arthritis befindet sich dummerweise an einem sehr unglücklichen Ort, fasst Professor Farshad die Untersuchungen zusammen. Die Abnützung hatte Verengungen zur Folge, die jetzt den Rückenmarksnerv reizen und die Schmerzen verursachen. Operation vorderhand nein, dafür regelmässige Dehnungsübungen, bei Wiederholung Infiltration und sofort ein Spital aufsuchen sollten Lähmungen auftreten, so seine Bilanz. Und ich will mich zusätzlich schlau machen, was ich mit welchen Lebensmitteln positiv beeinflussen kann.
Natur und Feiern
Bewegung und Kopf lüften ist nach einem Tag im Spital am hilfreichsten. Wir nützen die Nähe zum Zürcher Hausberg und marschieren bereits früh am nächsten Morgen los. Nach gut 2 Stunden haben wir es geschafft und geniessen etwas kurzatmig und nass geschwitzt vom Aussichtspunkt des Uetlibergs das grandiose Panorama über Zürich und den glitzernden See.
Auf den 6. Juli freuen wir uns besonders, denn an diesem Mittwoch sind wir im Volkshaus zu Melanies Diplomfeier eingeladen. Ab dem heutigen Tag darf sich meine Tochter Sozialpädagogin HF nennen. Ich bin so stolz und bewundere sie, denn Studium und Schwangerschaft unter einen Hut bringen war bestimmt nicht immer einfach. Während sie den frühen Abend im Kreise ihrer Kommilitonen verbringt geniessen Dani und ich unseren Enkel.
In Zürich krank im Bett
Das unbeschwerte Glück währt noch genau zwei Tage, dann schlägt das Pendel um. Praktisch von einer Sekunde zur anderen fühlen wir uns Beide unwohl und grippeartige Symptome zwingen uns Null Komma plötzlich ins Bett. Wir brauchen uns nicht zu fragen, welches fiese Virus uns da trotz Impfungen hingestreckt hat. Ein Schnelltest bestätigt dann den Verdacht. Und das ausgerechnet vor dem Wochenende mit Dianne. Unsere texanische Freundin weilte während zwei Wochen auf einer Rundreise in der Schweiz und hat extra wegen uns zwei Tage in Zürich angehängt. Wir hadern mit dem Schicksal, als wir ihr traurig absagen müssen. Interessant, dass Dani und ich bis auf den Husten nie an denselben Symptomen leiden. Bei ihm zeigt das Thermometer zwei Tage lang über 39 Grad Fieber an, während es mir eine Woche lang permanent speiübel ist. Was uns eint, wir sind völlig energielos und schlafen viel.
Meist wechseln wir uns mit den Beschwerden ab, einmal geht es mir besser und dann ist Daniel wieder fitter. Noch herrscht grosse Hoffnung, dass wir für die Hochzeitsfeier unserer Freunde Susi und Bruno wieder fit sind. Doch am Vorabend der Feier auf die wir uns so gefreut haben, müssen wir enttäuscht auch für diesen Anlass absagen. Zudem bin ich tieftraurig, dass wir die Kinder und Enkel nicht sehen können. Das Ende des Tunnels ist aber dann am 18. Juli erreicht und wir machen uns als Erstes wie versprochen mit Yuri auf in den Zoo. Ein herrlicher Tag mit unserem geliebten Enkel, doch am Abend sind wir nudelfertig und fallen wie tote Fliegen ins Bett. Wir spüren, noch ist die volle Energie nicht zurück.
Zurück im Leben
Der 22. Juli ist ein ganz besonderer Tag. Stolz wie Oskar holen wir am späteren Nachmittag den süssen Henry ab, der die Nacht bei uns verbringen wird. Melanie soll wieder einmal eine ganze Nacht durchschlafen können. Oma macht indess vor Begeisterung kaum ein Auge zu, keine Sekunde Zweisamkeit will ich mit dem süssen Baby verpassen.
Am Sonntagmorgen treffen wir uns Alle zu einem entspannten Brunch im nahe gelegenen Gartenrestaurant. Ich bin so glücklich und stolz auf meine beiden Kinder und meine Schwiegertochter. Drei wundervolle Enkelkinder sitzen jetzt mit am Tisch, wer hätte das gedacht! Ich sicher nicht und hätte denjenigen, der mir das vor ein paar Jahren prognostiziert hätte ganz bestimmt ausgelacht.
Als wir überzeugt sind, dass es nur noch bergauf gehen kann, bekomme ich mit einer Stirnhöhlenentzündung eine klassische Sekundärinfektion. Dani übernimmt das einkaufen und versorgt uns mit Essen, während ich mit Inhalationen und Sprays versuche, dem drohenden Unheil zu entkommen. Denn wenn ich den Druckausgleich nicht schaffe, ist an ein Fliegen nicht zu denken. Wir entscheiden, dass Daniel alleine nach Basel fährt und seine Mutter besucht, während ich weiterhin an meiner Genesung feile.
Auf und ab
Für die geplante, längere Schifffahrt auf dem Zürichsee fühle ich mich leider zu schwach. Einen gemeinsamen Abend lassen wir uns aber keinesfalls entgehen, schreibe ich Barbara und Ralph. Das ersehnte Wiedersehen muss doch gefeiert werden, wenn wir schon Alle auf Heimaturlaub in der Schweiz sind. Die schönen Stunden fliegen nur so dahin und es fühlt sich an, als hätten wir uns nie getrennt. Etwas wehmütig nehmen wir dann von unseren Freunden Abschied. Aber nur bis Kuba, denn juhu, da wollen wir uns mit unseren Booten wieder treffen.
Da mir der Druckausgleich noch immer nicht einwandfrei gelingt, suche ich doch noch einen HNO-Arzt auf. Der kontrolliert meine verstropften Nebenhöhlen mit einem Endoskop und verschreibt mir eine ganze Reihe von Hammer-Medikamenten. Zwar nicht das Gelbe vom Ei, aber in unserer Situation das einzig Wahre. Und so kommt zum Inhalieren, Tee trinken, Nasenduschen auch noch Sprayen und Medikamente schlucken dazu. Das volle Programm zeigt Wirkung und meine Höhlen gehen auf wie Eingangstüren. Jetzt aber auf zum finalen Genussmarathon. Entweder wir sitzen mit Yuri und Milli auf dem Spielplatz oder hüten Henry, während Melanie Arzttermine wahrnimmt. Zwischendurch packen wir die gefühlten 100 Kilo Schokolade und sonstigen Mitbringsel für die amerikanischen Freunde und meinen süssen Captain in die Koffer und bringen anschliessend das Gepäck zum Flughafen.
Abschied von Zürich
Noch ein letzter Spaziergang und ein gemeinsames Essen, dann ist der doofe Moment da. Ich kann Abschiede von den Liebsten nicht leiden und ganz schlecht handeln und auch dieses Mal ist das Herz schwer und die Augen feucht. Sollte es zu sehr schmerzen fliege ich halt ganz schnell wieder hin, seufze ich zu Daniel. Dafür müssen wir aber erst einmal fortfliegen, gibt mir mein praktisch denkender Mann zur Antwort. Und das tun wir dann auch, am 29. Juli kurz nach dem Mittag und das entgegen allen negativen Berichten sogar fast pünktlich. Die knapp 9 Stunden vergehen wortwörtlich fast wie im Flug, dank einer sehr engagierten Crew, leckerem Essen, spannenden Filmen und gutem Schlaf.
Zurück in die USA
Mit nur einer halben Stunde Verspätung reihen wir uns in Chicago in die Schlange vor den zahlreichen Schaltern der Immigration ein. Was für ein Unterschied zu Miami, resümiert Daniel als wir bereits nach kürzerer Zeit vor einem Beamten stehen. Hier werden wir unseren Anschlussflug nach Norfolk bestimmt erreichen. Doch weit gefehlt, denn anstatt unsere Pässe zu stempeln und uns einreisen zu lassen, lässt er uns von einem Beamten abholen und in einen Nebenraum bringen. Zack und ein Déjà-vu, denn wie schon im vorigen Jahr sitzen wir wieder inmitten etwa 50 Leidensgenossen. Das darf doch nicht wahr sein denke ich, als die Zeit unbarmherzig verrinnt!! Im Wissen, dass wir alle Vorschriften beachtet und uns korrekt verhalten haben, können wir uns keinen Reim darauf machen. Als unser Flug längst ohne uns nach Norfolk abgehoben hat, bekommen wir die gestempelten Pässe von einem Officer ausgehändigt. Alles in Ordnung, willkommen in den Staaten.
Warum dann dieses Theater? Sie sind in letzter Zeit öfters mit Boot und Flugzeug in die Staaten eingereist, das wollten wir genau überprüfen, meint der Beamte lakonisch. Ich verkneife mir die Frage, warum diese Überprüfung zwei Stunden dauerte und mache mich stattdessen zusammen mit meinem Mann auf zum Schalter der United Fluggesellschaft. Heute fliegt kein Flieger mehr nach Norfolk, meint die freundliche Dame, aber morgen früh kann ich Ihnen zwei Plätze anbieten. Nehmen wir! Anschliessend lassen wir uns mit Sack und Pack in ein nahe gelegenes Flughafenhotel bringen. Zwar können wir vor Müdigkeit kaum mehr die Augen offenhalten, aber ein eiskaltes Bier und eine berühmte Chicago-Pizza muss sein, bevor wir dann todmüde in die Kissen fallen. Am 30. Juli um 10 Uhr beginnt dann das letzte Flugkapitel, Norfolk und Vairea – wir kommen!